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Herborner Gemeinschaftsverband und Bibelstunde

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Die Auflösung des Herborner Gemeinschaftsverbandes und das Ende unserer Bibelstunde

In: Miteinander, Gemeindemagazin der Ev. Kirchengemeinde Niederweidbach 73 (August 2018), 27-34.


Der Evangelische Gemeinschaftsverband Herborn hat unsere Kirchengemeinde viele Jahrzehnte mitgeprägt.
Seit 1946 fanden in unserer Kirchengemeinde in Verbindung mit dem Herborner Gemeinschaftsverband Volksmissionsgottesdienste, Bibelstunden, Evangelisationen, Passionsandachten und eine Bibelwoche statt. Der Herborner Verband löst sich zum Jahresende 2018 auf, er bestand 155 Jahre. Die letzte Bibelstunde in unserer Kirchengemeinde fand am 29. Juni 2018 statt und wurde nach mindestens 60 Jahren eingestellt. Wir haben jedes Jahr den Herborner Gemeinschaftsverband mit einem Teil der Kollekte des Missionsfestes unterstützt.

Bibelstunden seit 1958 oder 1946
In den uns vorliegenden Unterlagen ist eine Bibelstunde in unserer Kirchengemeinde erstmals 1958 erwähnt. Demnach bestand die Bibelstunde mindestens 60 Jahre, sie kann aber sehr viel früher begonnen haben. 1946 – also vor 72 Jahren – fanden in unserer Kirchengemeinde große Veranstaltungen des Herborner Gemeinschaftsverbandes statt, ein Volksmissionsfest und ein Jugendsonntag im Juni 1946 und das Missionsfest im September 1946. Das könnte der Beginn des Wirkens des Herborner Gemeinschaftsverbandes in unserer Kirchengemeinde und der Bibelstunden gewesen sein. Für eine Arbeit des Herborner Gemeinschaftsverbandes im Zeitraum von 1863 bis 1946 haben wir derzeit keinen Hinweis. Es ist aber denkbar.

Der Evangelische Gemeinschaftsverband Herborn
Der Evangelische Gemeinschaftsverband entstand 1863 auf dem Hintergrund der Erweckungsbewegung. Ab den 1820er Jahren fand eine pietistische Erweckungsbewegung in unserer Region statt. Das Zentrum dieser Erweckungsbewegung war das Siegerland. Viele begannen damals, ihr Leben und Denken an Jesus Christus und der Bibel neu zu orientieren. Sie lasen in der Bibel, sie trafen sich in Gruppen, es entstanden viele Chöre. Viele Arbeiter aus der Region Dillenburg, Herborn, Gladenbach und Biedenkopf waren im Siegerland tätig. Sie erlebten die Erweckungsbewegung im Siegerland und brachten das neue Denken und Leben mit in ihre Heimat. Aus dem Siegerland kamen Reiseprediger in unsere Region zwischen Dillenburg und Biedenkopf. Im Zusammenhang mit dieser Erweckungsbewegung begann man mit Kindergottesdiensten und Bibelstunden. Es wurden Evangelische Vereine gegründet. Die Landeskirche tat sich schwer mit der Erweckungsbewegung und die Reiseprediger taten sich schwer mit der Landeskirche. So entstand eine Distanz. Der Evangelische Gemeinschaftsverband Herborn wurde 1863 gegründet, um die Verständigung und die Verbindung zwischen der Landeskirche und den Vereinen zu optimieren.
Dem Herborner Gemeinschaftsverband geht es um christliche Gemeinschaftspflege um Evangelisation, um Mission und christliche Sozialarbeit. Zur Pflege der christlichen Gemeinschaft wurden Konferenzen, Jahresfeste, Volksmissionsfeste und Evangelisationen durchgeführt. Zur christlichen Sozialarbeit gehörten ein Kinderheim, eine Herberge zur Heimat, ein Wandererheim und Altenheime.
Der Grund für die Auflösung ist der Rückgang der Mitglieder im Gemeinschaftsverband. Die Zahl der Mitglieder und Freunde betrug vor 10 Jahren um die 2000-3000 Personen. Diese Zahl sinkt pro Jahr um Dutzende von Menschen und nur wenige kommen neu hinzu. Die sinkende Mitgliederzahl führt zu einer Reduzierung der Finanzmittel. Das Durchschnittsalter der Mitglieder und Freunde steigt kontinuierlich. Dies ist ein Ergebnis des demographischen Wandels. Die Auflösung des Gemeinschaftsverbandes ist beschlossen, die Sozialdiakonische Arbeit (Altenheime) ist bereits seit 1995 in eine gGmbH ausgelagert, die Reste der Gemeinschaftsarbeit werden dem Chrischona-Verband angeschlossen, zwei Prediger werden vom Chrischonaverband übernommen, die Konferenzhalle in Herborn als Veranstaltungsort für Veranstaltungen mit bis zu 800 Personen bleibt erhalten.

Prediger und örtliche Ansprechpersonen
Die Organisation der Bibelstundenkreise war gut und praktikabel geregelt. In unserer Kirchengemeinde gab es eine zuständige Person, einen Ansprechpartner. Zuständig waren bis 1974 Hans und Elfriede Rippert. Diese Aufgabe übernahm dann Willi Pitzer, der sowohl dem Kirchenvorstand unserer Kirchengemeinde und dem Bezirksvorstand des Herborner Gemeinschaftsverbands angehörte. Bis zur letzten Bibelstunde am 29. Juni 2018 war er Ansprechpartner und gewährleistete eine enge Verbindung von Kirchengemeinde und Gemeinschaftsverband.

Die Prediger vom Herborner Gemeinschaftsverband kamen in die Dörfer. Der Herborner Gemeinschaftsverband war in Bezirke eingeteilt, in die Bezirke Herborn, Dillenburg, Westerwald, Dietzhölztal-Roßbachtal-Oberes Dilltal, Hinterland und Aartal. Viele Jahre gab es sieben Bezirke, sieben Bezirksvorstände und sieben Prediger. Niederweidbach, Oberweidbach und Roßbach gehörten mit Ballersbach, Bicken, Eisemroth, Endbach, Günterod, Oberscheld, Oberndorf, Offenbach, Schlierbach, Tringenstein, Übernthal, Wallenfels, Wommelshausen und Wommelshäuser Hütte zum Bezirk Aartal. Nach 1945 wirkten im Bezirk Aartal sieben Prediger.
Karl Löffler aus Offenbach wurde 1948 vollzeitlicher Prediger im Herborner Gemeinschaftsverband. Er hatte schon 1928 viele Bibelstunden und während des Zweiten Weltkrieges auch Gottesdienste gehalten.
Ernst Decker aus Eisemroth war Bezirksprediger. Er wurde durch Karl Löffler unterstützt. Ernst Decker verließ im September 1956 den Gemeinschaftsverband, er wurde Evangelist und Geschäftsführer der Deutschen Zeltmission.
1956-1973: Kurt Görke aus Oberndorf. Er ging 1973 in den Ruhestand.
1973-1985: Harald Romahn. 1985 wechselte Harald Romahn sein Arbeitsgebiet. Er wurde mit einer halben Stelle Altenseelsorger in Herborn und mit einer halben Stelle Prediger im Bezirk Herborn.
1985-1989: Peter Hollinger. Peter Hollinger versuchte zusammen mit dem Praktikanten Klaus Simon die Jugendarbeit zu intensivieren. Peter Hollinger wohnte vorübergehend im Ev. Gemeindehaus in Niederweidbach.
1990-2002: Hans-Peter Brüggendick.
2002-2005: Hans-Eckard Albring. Auch nach seinem vorzeitigen Ruhestand 2005 begleitete er bis zum April 2018 die Bibelstunde in Niederweidbach weiter. Er übernahm zudem Vertretungsgottesdienste in der Kirchengemeinde Niederweidbach.

Volksmissionsgottesdienste
Aus den uns bekannten Unterlagen unserer Kirchengemeinde können wir das erste Wirken des Herborner Gemeinschaftsverbandes in unserer Kirchengemeinde 1946 angeben.

Am 25. August 1946 fand in Roßbach ein Volksmissionstag mit 400 Teilnehmern statt. Pfarrvikar Karl Kastner, der Niederweidbach, Oberweidbach und Roßbach mit betreute, begrüßte zu Beginn, Pfarrer Paul Steingräber aus Herborn und Karl Löffler aus Offenbach sprachen. Die Kollekte von 550 RM wurde dem Herborner Gemeinschaftsverband gegeben.
1967 schreibt Pfarrer Dittmann, dass die Volksmissionsfeste des Herborner Gemeinschaftsverbandes in der Kirchengemeinde Niederweidbach immer mehr Fuß gefasst hätten. Zu dieser Zeit wurden sie jährlich abwechselnd in Oberweidbach und Roßbach gehalten. Die Zusammenarbeit zwischen der Kirchengemeinde und dem Gemeinschaftswerk sei fruchtbar.
Volksmissionsgottesdienste fanden jährlich statt. Die Volksmissionsfeste waren ein Schwerpunkt des Herborner Gemeinschaftsverbandes. Sie wurden in vielen Dörfern gefeiert und erfreuten sich in den 1930er Jahren zum Teil sehr großer Beliebtheit. Die Volksmissionsfeste waren an vielen Orten ein Höhepunkt des kirchlichen Lebens. In der Zeit des Zweiten Weltkrieges mussten die Volksmissionsfeste reduziert werden. 1945 kam die volksmissionarische Arbeit des Verbandes fast ganz zum Erliegen, ab 1946 stieg die Zahl der Feste wieder deutlich. Der letzte Volksmissionsgottesdienst in der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach fand an Exaudi 2004 in Oberweidbach statt. Der Grund waren Umstrukturierungen und Vakanzen im Herborner Gemeinschaftsverband. Der Volksmissionsgottesdienst war bis dahin ein Kirchspielgottesdienst um 10 Uhr gewesen.

Evangelisationen und Bibelwoche
Wir wissen derzeit von mindestens zwei Evangelisationen, die in Verbindung mit dem Herborner Gemeinschaftswerk in unserer Kirchengemeinde durchgeführt wurden.
Im Advent 1964 fand im Dorfgemeinschaftshaus Roßbach eine Evangelisation mit dem Inspektor des Herborner Gemeinschaftsverbandes statt.
1987 oder 1986 fand eine Evangelisation mit Inspektor Heinrich Mankel vom Herborner Gemeinschaftsverband statt. 1968 gab es eine Bibelwoche in Niederweidbach.

Bibelstunden
Die Bibelstunde in unserer Kirchengemeinde ist unserer Kenntnis nach erstmals in einem Bericht von Pfarramtskandidat Hort-Peter Zickmann erwähnt. Zickmann machte 1958 ein Gemeindepraktikum in unserer Kirchengemeinde von April bis September 1958. In diesem Bericht erwähnt er, was er in unserer Kirchengemeinde erlebt, mitgemacht und durchgeführt hat: Predigten, Gottesdienst, Kindergottesdienst, Kindergottesdiensthelferkreis, Christenlehre, Taufen Trauungen, Beerdigungen, Jugendabende, Jugendmitarbeitertreffen, Kirchenchor, Konfirmandenunterricht, Frauenhilfe, Seelsorge, Missionsfest, Filmabende, Religionslehrertagung, Dekantssynode, Pfarrkonvent, Pfarrkränzchen, Kirchenvorstandsitzung und Bibelstunde. 1958 bestand also die Bibelstunde bereits.

Pfarrer Edmund Dittmann kam 1960 in die Kirchengemeinde, er begleitete die Bibelstunde, oder besser die beiden Bibelstunden. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwei Bibelstundenkreise, einen in Roßbach und einen Niederweidbach. Im Winterhalbjahr fand die Bibelstunde in Roßbach wöchentlich im Betsaal im alten Schulhaus statt. Ausdrücklich wird die Bibelstunde in einem Brief von Dittmann von 1964 erwähnt, den er nach Darmstadt an die Kirchenleitung schrieb. 1968 wird erwähnt, dass es die Bibelstunde in Roßbach und gelegentlich Bibelstunden des Herborner Gemeinschaftsverbandes in Niederweidbach gibt. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen regelmäßigen Gottesdienst in Roßbach. Kann es sein, dass die Bibelstunde in Roßbach die Funktion des Gottesdienstes hatte? Ist sie deshalb regelmäßiger in Roßbach als in Niederweidbach durchgeführt worden, weil in Niederweidbach wöchentlich Gottesdienst stattfand?
Die Bibelstunden in Roßbach endeten 1967, am 28. Juni 1968 wurde das alte Schulhaus abgerissen. Das kirchliche Leben in Roßbach fand zu diesem Zeitpunkt bereits im Dorfgemeinschaftshaus statt. 1971 wurde die neue Kirche in Roßbach eingeweiht. Im Jahr 1980 fand die Bibelstunde donnerstags im Evangelischen Gemeindehaus in Niederweidbach statt. Die letzten Jahre fanden die Bibelstunden jeweils am 2. und 4. Donnerstag im Monat um 20 Uhr statt. Auf diesem Termin sind in der Passionszeit auch die wöchentlichen Passionsandachten. So wurden die letzten Jahre die Bibelstunde in der Passionszeit zur Passionsandacht. Drei der sechs Passionsandachten wurden damit von der Bibelstunde und dem Herborner Gemeinschaftsverband durchgeführt.

Der Ablauf der Bibelstunde bestand aus Begrüßung, Lied, Gebet, Auslegung mit Fragen und Gespräch, Lied, Vaterunser und Segen.

Die Bibelstunde und die Bedeutung der Bibel
Der Bibelstundenkreis in unserer Kirchengemeinde war ein Zeichen für die herausragende und zentrale Bedeutung, die die Bibel im Leben von uns Christen und Christinnen und in unserer Kirchengemeinde spielt. Wir glauben an Jesus Christus. Wir kennen Jesus Christus aus Gottes Wort, der Bibel. Die Bibel ist die Grundlage für das Leben von uns als Christinnen und Christen. Sie ist das zentrale Buch der Christlichen Spiritualität. Wir lesen die Bibel, wir denken über die Aussagen der Bibel nach, wir meditieren die Aussagen, wir sprechen und predigen über die Bibel, wir erklären sie. Das tun wir in unseren Gottesdiensten und Gruppen. Wir begegnen der Bibel in Kalendern, Zeitungen, Zeitschriften, Todesanzeigen, im Radio und im Fernsehen, in den Losungen, in der Jahreslosung und im Monatsspruch, im Taufspruch, im Konfirmationsspruch, Hochzeitsspruch, bei einer Beerdigung. Man darf einer Bibel ansehen, dass sie gebraucht ist. Der Herborner Gemeinschaftsverband sagt auf seiner Website: „Ziel der Bibelstunde ist, sich intensiver mit dem Wort Gottes, der Bibel, auseinanderzusetzen, zu lernen, was sie uns sagen will, zu spüren, wie Gott durch sie spricht und stärkt.„
Die Bibel behält diese herausragende und zentrale Bedeutung. Wir werden überlegen, ob in unserer Kirchengemeinde an die Stelle des Bibelstundenkreises des Herborner Gemeinschaftsverbandes ein Bibelgesprächskreis tritt, der in kommunikativer Weise über Aussagen der Bibel und Bibeltexte nachdenkt. Ein Modell könnte „Bibel teilen„ sein. Die Bibel ist unsere Tankstelle.

Dank
Wir danken dem Herborner Gemeinschaftsverband für die Arbeit, die er in unserer Kirchengemeinde seit mindestens 72 Jahren gemacht hat. Wir danken Willi Pitzer, der 44 Jahre lang der Ansprechpartner war und Hans Rippert. Wir danken den Bezirkspredigern und grüßen besonders Harald Romahn in Hartenrod, Hans-Ulrich Brüggendick, Peter Hollinger und Hans-Eckard Albring in Bottenhorn. Wir danken Christina Scheffbuch-Schwalfenberg und allen, die bei uns Bibelstunden geleitet haben. Wir freuen uns über die vielen aus unserer Kirchengemeinde, die in all den Jahren an den Bibelstunden teilgenommen haben. Wir danken von Herzen dem Verbandspfarrer Eberhard Hoppe, der als Verbandspfarrer dieses Ende und den Wechsel mitgestaltet.

Frank Rudolph/Willi Pitzer

Quellen
• Archiv der Ev. Kirchengemeinde Niederweidbach.
• Lehmann, Gerhard. Der Wind bläst, wo er will… Wuppertal, 1974.
• Lehmann, Glaube wird zur Tat. Evangelischer Gemeinschaftsverband Herborn 1863-1979. Herborn, 1981.
• Rudolph, Frank: Roßbach im Lahn-Dill-Kreis 1304-2013. Niederweidbach, 2013.
• Pitzer, Willi: Prediger und Bibelstunden im Bezirk Aartal. 2018.
• www.egv-herborn.de (8.8.2018).

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