Betreibe Lebensmathematik: Zähle Tage (Psalm 90,12)
Der Psalm 90 ist das Klagelied eines Volkes, ein Volksgebet.
Es geht um den ewigen Gott und den vergänglichen Menschen.
Psalm 90 ist ein besonderer Psalm, weil die Vergänglichkeit und die Nichtigkeit des Menschen stark ins Zentrum gerückt werden.
Der Psalm hat einen resignativen, skeptischen und pessimistischen Ton.
Das Zentrum des Gebets ist in Vers 12 die erste der Bitten an Gott.
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.“
In der Lutherbibel steht.
„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“
Das ist frei übertragen und ungenau.
Das lenkt den Blick in falscher Weise auf das Sterben, hier scheint es aber um die Lebensgestaltung zu gehen.
Der Psalmbeter sagt nämlich:
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.“
Oder: „Unsere Tage lehre uns zu zählen und ein weises Herz gewinnen.“
Zwei Satzteile, im Hebräischen verbunden mit einem „und“ – viele Bibelübersetzungen sagen „damit“.
Parallismus membrorum?
Tage - zählen - weise - Herz: jedes Wort dieser Gebetsbitte ist von Bedeutung,
mit jedem Wort öffnet sich eine Bedeutungsweite im Zusammenhang der biblischen Literatur und der biblischen Literatur.
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.“
Tag:
Der Tag dauert von Sonnaufgang bis Sonnenuntergang, dann kommt die Nacht.
Der Begriff Tag wird dann erweitert von Mitternacht bis Mitternacht, also 24 Stunden.
Der Tag ist durch die Nacht die einfachste Zeiteinheit, eine klare Zeiteinheit, Sekunden, Minuten und Stunden sind schwerer zu ermitteln.
Der Tag ist der wichtigste Zeitbegriff im Alten Testament.
Gott schuf die Erde in sechs Tagen, dann kam ein Ruhetag.
Die Bibel ist kein Biologiebuch, die Erzählung macht aber deutlich:
Gott ist der Schöpfer (das wird auch in den ersten Sätzen von Psalm 90 betont).
Und Gott hat bereits Tage gezählt.
Der Begriff Tag wird dann auch zum Synonym für Zeit, Zeitdauer und Zeitpunkt.
Lebenstage stehen für Lebenszeit.
Zählen:
Man zählt das, was zählbar ist.
Man zählt das, was begrenzt ist.
Man zählt, weil man wissen will, wieviel etwas ist oder wieviel man hat oder hatte.
Mathematik.
Tage hat man bekommen, geschenkt bekommen, erleben dürfen und haben dürfen.
So wie Geburtstagsgeschenke, Weihnachtsgeschenke oder Geld.
Wenn man etwa Geld zählt, dann gibt es da eine Ähnlichkeit.
Man zählt jede Münze, nimmt sie bewusst wahr
und man freut sich, dass man damit etwas machen kann.
Man kann das Geld nutzen und verwenden und einsetzen,
heute und morgen.
Tage zählen:
Der Beter bittet, dass wir unsere Tage zählen.
Wir sollen Tage, Lebenstage, Zeit, Lebenszeit und Zeitdauer zählen.
Wir sollen jeden Tag bewusst wahrnehmen.
Die Tage eines Menschen sind zählbar.
Bei Verstorbenen kennen wir die vollständige Zahl der Tage.
Bei Lebenden kennen wir die Zahl der Tage, die sie bisher gelebt haben.
Der durchschnittliche Mann in Deutschland wird etwa 75 Jahre alt und hat damit rund 27.300 Tage.
Die durchschnittliche Frau wird etwa 82 Jahre alt und hat damit rund 29.800 Tage.
Zähle die Tage heißt:
Nimm den Tag bewusst wahr, freue dich daran, nimm ihn an, bedenke ihn, nimm ihn wahr – und dann kannst du den Tag nutzen und gestalten und genießen.
Würdige, was du bekommen hast, sei dankbar.
Weises Herz:
„Und dass wir ein weises Herz gewinnen“, so bittet das Volk.
Tage zählen und weise werden
Tage zählen, damit wir weise werden, Weisheit erlangen, Lebensweisheit.
Das Herz ist in der Bibel das, was bei uns der Kopf und das Gehirn ist.
Das Herz ist der Sitz von Wille und Verstand.
Zähle deine Tage, damit du verständig, klug und schlau wirst.
Zähle deine Tage und gestalte das Leben vernünftig.
Zähle deine Tage und nutze, gestalte und genieße sie.
„Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.“
Ein anderer Weisheitslehrer der Bibel sagt es so: „Alles hat seine Zeit.“ (Kohelet/Prediger 3)
Und Horaz sagt: „Carpe diem“ – pflücke den Tag. Bei Horaz liegt der Akzent auf „Genieße den Tag“.
Was ist wichtiger?
Ist es wichtiger, dass ich die Zahl der Tage zähle,
oder st es wichtiger, dass ich zähle?
Der Kontext:
Dies alles ist zu bedenken auf dem Hintergrund der anderen Aussagen, die in Psalm 90 gemacht werden:
Gott ist der Schöpfer.
Gott ist eine Zuflucht.
Gott lässt Menschen geboren werden und sterben: Erde zu Erde, Staub zu Staub.
Gott hat ein eigenes Zeitverständnis: 1000 Jahre wie ein Tag.
Der der Mensch ist sündig, der Mensch denkt nicht an Gott, Gott ist zornig.
Die Jahre des Menschen sind flüchtig und kurz.
Er lebt 70 bis 80 Jahre.
Die Jahre des Menschen sind mühsam.
Tage zählen ist nicht selbstverständlich:
Tage zählen scheint nicht selbstverständlich zu sein.
Das Volk betet zu Gott, dass Gott das Volk lehre die Tage zu zählen.
Tage bewusst wahrzunehmen und vernünftig zu leben scheint schwer zu sein.
Gott soll dabei helfen.
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