Predigt vom 23. Oktober 2004 in Rossbach
Abgedruckt in: Miteinander. Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach, Nr. 40, Dez. 2004-Feb. 2005, 5-7.
1. Beten ist Reden mit Gott wie mit einem Freund
Menschen beten, viele Menschen beten und viele tun es heimlich. Es wird wortreich oder wortlos gebetet. Wir sprechen Gebete des Dankes, der Bitte, der Fürbitte, des Lobes und der Klage. Orte des Gebets und Gelegenheiten des Gebets gibt es viele, Menschen beten allein, zu zweit, mit Kindern, in einer Gebetsgemeinschaft, zu Hause, beim Autofahren, in der Kirche und bei Tisch. Sie beten morgens, mittags, abends, vor dem Schlafen, nach dem Aufstehen und im Zusammenhang mit dem Lesen in der Bibel.
Das Beten gehört zu einem christlichen, zu einem evangelischen Lebensstil. Das Gebet ist die Antwort des Menschen auf das Wort Gottes. Gott kann durch die Bibel, durch Menschen, Schicksale, unsere Gedanken und Gottesdienste sprechen. Das Gebet ist ein Gespräch mit Gott, ein Zwiegespräch und ein Dialog. Wir werden von Gott angeredet und antworten dann. Wer betet, öffnet sich Gott. Beten ist das Gespräch des Herzens mit Gott. Wer betet ehrt Gott, denn Gott möchte, dass wir mit ihm reden. Wer betet, vertraut Gott seine angestauten Sorgen, Zweifel und Ängste an.
Es gibt vorformulierte Worte oder frei formulierte Gebete. Das Evangelische Gesangbuch hat einen großen Gebetsteil. In den Herrnhuter Losungen steht nach Losung und Lehrtext ein Gebet. Gott ermuntert zum Beten und er lehrt uns ein Gebet. „Gott sagt: Bist du in Not, so rufe mich zu Hilfe!“ (Ps 50,15). Ich werde dir helfen, und du wirst mich preisen. Jesus nennt uns ein Gebet zum Nachsprechen: So sollt ihr beten: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Namen, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. (Mt 6,9-13)“
2. Beten hilft
Beten hilft, daher beten so viele. Beten erleichtert und Beten befreit. Beim Beten spürt man die Geborgenheit und die Liebe, mit der Gott uns umgibt. Beten entlastet, der Druck des Alltags und die Last der Sorge fallen von uns ab. Viele Menschen erfahren es als großes Geschenk, beten zu können. Die Seele schöpft Atem.
Gott hört Gebet und Gott erhört Gebet. Beten steht unter einer Verheißung Gottes. Er sagt: Ich höre dein Gebet. Sehr viele Menschen haben sehr viele Gebetserhörungen erlebt, aber sie reden nicht davon, weil die anderen dann sagen würden: Das wäre sowieso passiert. Gebetserhörungen bei der Bitte um Gesundheit und bei der Bitte bei Prüfungen.
3. Unerhörte Gebete
Beten ist Reden mit Gott wie mit einem Freund. Meine Freunde haben mir alle meine Wünsche nicht erfüllt. Beten ist Reden mit Gott wie mit einem Vater oder einer Mutter. Meine Eltern haben mir auch nicht alle meine Wünsche erfüllt und ich als Vater erfülle meinen Kindern auch nicht alle Wünsche.
Aber Gott ist noch mehr als ein Freund oder ein Elternteil:
1. Gott ist Gott. Gott ist der Schöpfer. Er ist souverän. Er weiß, was gut für mich ist. Wenn Gott alle meine Gebete erhören würde, wäre nicht er Gott, sondern ich. Er sagt auch: "Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und meine Wege sind nicht eure Wege" (Jes 55,8).
2. Es gibt Bitten, die nicht mit Gottes Willen übereinstimmen, das musste auch Jesus im Garten Gethsemane erfahren, als er um einen Weg ohne Leiden bat.
3. Auch im Vaterunser heißt: "Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden." Diesen Satz beten wir freiwillig, wenn wir das Vaterunser beten.
Unerhörte, aber wohl gehörte Gebete, das zu erleben kann weh tun. Dies löst Zweifel an Gott und am Gebet aus und Anfechtung
4. Die Gemeinde ist die Versammlung der glaubenden Zweifelnden bzw. zweifelnden Glaubenden
Wie gehen wir mit dem Zweifel an Gott um? Ich kann nur meine Antwort sagen. Meine Antwort ist: Ich bleibe dennoch bei Gott. Ich gehe dennoch zu Gott, auch mit meinen Zweifeln, Klagen und Fragen. Ich bleibe bei Gott, weil ich ja schon gute Erfahrungen mit Gott gemacht habe und weil ich doch weiß, wie nahe Gott sein kann. Die Gemeinde ist immer die Versammlung der zweifelnden Glaubenden und der glaubenden Zweifler. Ich habe schon viele getroffen, die sehr Schweres erlebt haben und bei Gott geblieben sind. Wenn man mit alten Menschen spricht, ist man oft erschüttert, was die alles erlebt haben.
Hin zu Gott, trotz Zweifel. Das kann auf mehreren Wegen geschehen:
1. Viele Gebete sind Gebete der Zweifler, etwa die Psalmen in der Bibel. Viele Gebete sind Gebete der Klage. Beten hilft. Dann helfen auch Klage- und Fragegebete, das Gebet, bei dem man mit Gott streitet, das Gebet, bei dem man Gott anklagt. Gebete dieser Art findet man in der Bibel ständig. „Gott, warum...?“ „Gott, das darf doch nicht wahr sein...“ „Gott, du hast doch in deinen Verheißungen gesagt...“
2. Hin zu Gott mit meinen Zweifeln, das heißt hin zur Bibel. Dort stehen die Trostworte. Über der Bibel meditieren und forschen in der Bibel. Dort stehen die Geschichten der Menschen, die ähnliches erlebt haben.
3. Hin zu Gott, also hin zu den Gottesdiensten. Unsere Gottesdienste sind Gottesdienste der Zweifler. Hier ist das Wort Gottes zu hören, Gott spricht durch menschliche Worte. Hier wird gemeinsam gebetet und meditiert, das stärkt den Glauben.
4. Hin zu Gott, also hin zur Gemeinschaft der Christinnen und Christen. Das sind Treffen der Zweifler.
Glaube und Zweifel gehören zusammen, ein Doppelpack. Glaube ist der Mut, der Anfechtung standzuhalten und zu Gott zu rufen. Glaube glaubt immer wieder auch gegen die Erfahrung.
Frank Rudolph