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Abgedruckt in: Miteinander. Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach, Nr. 42, Mai bis Juli 2005, 5-10.


1. Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr. Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Dies ist die erste Strophe von dem bekannten Lied von Dietrich Bonhoeffer, der vor 60 Jahre im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet wurde. Dieses Lied ist in vielen Gruppen ein Klassiker. In unserem Gesangbuch steht dieses Lied mit der Melodie von Otto Abel (1959) im Stammteil unter Nr. 65. Viele singen es nach der Melodie von Siegfried Fietz (1970).

Worum geht es in dem Lied? Im Stammteil des Evangelischen Gesangbuches (EG) steht es unter der Überschrift „Jahreswende“. Im Regionalteil von Bayern unter der Überschrift „Geborgen in Gottes Liebe“ (EG Bayern) oder unter der Überschrift „Angst und Vertrauen“ (EG Rheinland). In einer Kurzfassung des EG für Friedhöfe steht es und es wird bei Beerdigungen gesungen. Im Stammteil des Evangelischen Gesangbuches steht es unter „Jahreswende“, weil es an einem Jahreswechsel komponiert wurde. Man merkt es an der Zeile: „…so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Es war der Jahreswechsel 1944/1945. Dietrich Bonhoeffer schickte es in einem Brief am 19. Dezember 1944 an seine Braut Maria von Wedemeyer. Ein Gedicht aus Vorweihnachtstagen, aus einem Kriegswinter. Ein Gedicht aus dem Winter vor dem Zusammenbruch. Dass ein Zusammenbruch kommen würde, war allen zu diesem Zeitpunkt klar. Die Feinde, die Alliierten, waren auf dem Vormarsch. Die Bomber flogen über Berlin.
Dieses Lied wurde im Gestapo Kellergefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße gedichtet. Der Dichter Dietrich Bonhoeffer saß im Gefängnis. Wie es ihm in diesen Tagen ging, lesen wir in einem kurzen Brief, den er am 28. Dezember an die Mutter schrieb:

„Liebe Mama! Eben habe ich zu meiner ganz großen Freude die Erlaubnis bekommen, Dir zum Geburtstag zu schreiben. Ich muß es etwas in Eile tun, da der Brief gleich noch fort soll. Eigentlich habe ich nur einen einzigen Wunsch, nämlich Dir in diesen für euch so trüben Tagen irgendeine Freude machen zu können. Liebe Mama, du musst wissen, dass ich jeden Tag unzählige Male an Dich und Papa denke und dass ich Gott danke, dass Ihr da seid für mich und für die ganze Familie. Ich weiß, dass Du immer nur für uns gelebt hast und dass es für Dich ein eigenes Leben nicht gegeben hat. Daher kommt es, dass ich alles, was ich erlebe, auch nur mit euch zusammen erleben kann. Daß Maria bei euch ist, ist mir ein ganz großer Trost. Ich danke Dir für alle Liebe, die im vergangenen Jahr von Dir zu mir in meine Zelle gekommen ist und mir jeden Tag hat leichter werden lassen. Ich glaube, dass diese schweren Jahre uns noch enger miteinander verbunden haben als es je war. Ich wünsche Dir und Papa und Maria und uns allen, dass das neue Jahr uns doch wenigstens hier und da einen Lichtblick bringt und dass wir uns doch noch einmal zusammen freuen können. Gott erhalte euch gesund! Es grüßt dich, liebe Mama, und denkt an Dich an Deinem Geburtstag von ganzem Herzen. Euer dankbarer Dietrich.“

2. Noch will das alte unsre Herzen quälen, noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Dietrich Bonhoeffer sitzt im Gefängnis. 38 Jahre alt, wenige Tage vor seinem 39. Geburtstag am 4. Februar 1945. Seine Eltern sind zu Hause, Maria von Wedemeyer, seine Verlobte, ist bei ihnen. Nicht nur Dietrich Bonhoeffer sitzt im Gefängnis, auch sein Bruder Klaus Bonhoeffer und sein Schwager Rüdiger Schleicher sind im Gefängnis, außerdem der Verwandte Hans von Dohnanyi. Eine seiner Schwestern war mit ihrer Familie aus dem Nazi-Deutschland nach London emigriert. Viele Freunde der Familie waren nach dem Attentat am 20. Juli 1944 durch Stauffenberg und seinen Kreis hingerichtet worden. Die Anklage lautete: Hochverrat oder Landesverrat und Wehrkraftzersetzung. Wie war es dazu gekommen?

Dietrich Bonhoeffer wurde 1906 geboren, er war gebildet, Doktor der Theologie, Privatdozent der Theologie. Ein Lutheraner, der mit dem reformierten Karl Barth befreundet war. Ein Kämpfer für die Ökumene. Ein Kämpfer für den Frieden und den Pazifismus. Ein weltgewandter Mensch. Rom, Barcelona, New York, London, Fanö. Leiter eines Predigerseminars für angehende Pfarrer.

Er sitzt im Gefängnis, denn er war von Anfang an ein Gegner von Hitler und den Nationalsozialisten. Er hat den Kampf der Nationalsozialisten gegen das von ihnen so genannte „unwerte Leben“ und die Juden von Anfang an mitbekommen. Seine Familie war vielfach betroffen von der menschenverachtenden Politik. Er war ein Mitglied der Bekennenden Kirche, dieser kleinen Gruppe von Pfarrern, die im Nazi-Deutschland für die freie Predigt kämpften, für die Predigt über das Evangelium von Jesus Christus und nur Jesus Christus als Führer anerkennen wollten. Bonhoeffer war einer, dem es um die radikale Nachfolge von Jesus Christus geht, einer, der dem Rad in die Speichen fallen will. Er war ein Theologe, der sich gewandelt hat. Erst war er unpolitisch, dann wurde er politisch, weil er die Bergpredigt gelesen und meditiert hat. Erst trat für den gewaltlosen Widerstand ein, reiste in die USA und hätte dort bleiben könne. Doch er kam zurück und wurde Mitarbeiter einer aktiven Verschwörung gegen Hitler. Er hat sich dem deutschen Geheimdienst, der Spionageabwehr von Admiral Canaris anschlossen, weil dort weitere Gegner von Hitler waren. Er half, Juden aus dem Land zu schmuggeln. Er übermittelte den Engländern Informationen über den deutschen Widerstand. Er hatte Redeverbot als Theologe und stand unter Beobachtung der Gestapo. Und dann kam er ins Gefängnis, nicht, weil die Verschwörung aufgeflogen wäre, sondern weil die Gestapo ein Devisenvergehen nutzte, um die ungeliebte Abteilung von Canaris zu zerschlagen.

3. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.
Dietrich Bonhoeffer hatte Angst, als er die Zeilen dichtete. Er hatte Angst vor dem schweren Kelch. Hinrichtung, Folter, KZ? Der Prozess schien gut zu verlaufen, aber nach dem Attentat von Hitler am 20. Juli 1944 wurden Papiere gefunden, die ihn belasteten. Von 1943 bis 1945 war er im Gefängnis. Er wurde verhört. Die Gestapo wollte wissen, was er von den Anschlägen auf Hitler wusste. Die Gestapo wollte die Namen der Mitwisser wissen. Sie wollte alles über seine Auslandskontakte wissen. Er hatte Angst. Und er schreibt: wir nehmen alles, wie es kommt aus Gottes Hand. Alles kann kommen. Tag für Tag und Nacht für Nacht flogen die Bomber über Berlin. Er hatte Angst um sich, um seine Eltern, um seine Braut, um seinen Bruder und die Familienangehörigen. Er will alles nehmen, wie es kommt.

Er wurde ein Märtyrer. Knapp drei Monate nach dem Dichten dieser Zeilen wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet. Tage nach dem Brief an die Mutter, am 7. Februar 1945, wurde er mit einem Sondertransport mit prominenten Häftlingen ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Das Gefängnis in Berlin war durch die Luftangriffe schon schwer in Mitleidenschaft gezogen. Dort in Buchenwald hörten sie am 1. April 1945 schon den Geschützdonner der heranziehenden Alliierten. Am 3. April brachte man die Gefangenen nach Regensburg und Schönberg im Bayrischen Wald. Am 5. April sprach Hitler das Todesurteil aus. Am 8. April wurde er versehentlich nach Schönberg gebracht. Am 9. April ins KZ Flossenbürg, dort wurden er und seine Freunde erhängt. Er starb mit den Worten: Dies ist für mich das Ende, aber auch der Anfang.

4. Doch willst du uns noch einmal Freude schenken an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz, dann wolln wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört dir unser Leben ganz.

Beim Schreiben des Gedichtes hat er Angst, aber er hofft zugleich. Noch weiß er nicht, wie es weitergehen würde. Auch ein guter Ausgang ist nicht ausgeschlossen. Vielleicht schenkt Gott noch einmal Freude an der Welt und der Sonne. Vielleicht schenkt er noch einmal Freude, uns, die derzeit keine Freude haben. Gott, unser Leben gehört dir. Wenn wir hier rauskommen, dann ist das dein Geschenk. Unser Leben kommt von dir und unser Leben gehört dir.

Das Leben von Bonhoeffer hat viele Stunden der Freude gehabt. Sein Vater war eine Koryphäe an der Berliner Charité, Professor für Psychiatrie und Neurologie. Bonhoeffer ist in Berlin aufgewachsen. Er hat in Tübingen, Rom und Berlin Theologie studiert. Mit 17 Jahren hatte er seine Doktorarbeit vollendet, eine dogmatische Untersuchung zur Soziologie der Kirche (Sanctorum Communio). Es folgte das Vikariat in Barcelona. Dann war er Assistent an der Berliner Theologischen Fakultät. Danach schrieb er seine Habilitation über Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie (Akt und Sein). Dann war er ein Studienjahr lang in New York am renommierten Union Theological Seminary. Darauf war er Studentenpfarrer an der Technischen Universität in Berlin. Er nahm an der Konferenz des Weltbundes christlicher Studenten in Cambridge teil, dort wurde er zum Jugendsekretär gewählt. Er war Pfarrer in zwei deutschen Gemeinden in London und ein Mitglied bei der Ökumenischen Konferenz in Fanö. Er war Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche 1935-1940, erst in Zingst auf dem Zingsthof, dann in Finkenwalde bei Stettin. Zwei Jahre lang war er legal der Leiter, drei Jahre illegal. Er war ein Kämpfer für die Erneuerung des Pfarrerstandes. Er gründete eine Kommunität, weil er wusste, dass nur gemeinsames Leben, Bibellese und Gebet die Erneuerung bringen konnten. 1939 die Reise nach London und New York. Er hätte dort bleiben können, aber er wollte die Brüder und Schwestern in Deutschland in ihrem Kampf nicht alleine lassen. Nach seiner Rückkehr schloss er sich dann dem Widerstand an, eben der Gruppe um Admiral Canaris im Amt Ausland/Abwehr und natürlich freute sich der 37jährige auch über seine Verlobung mit der 19jährigen Maria von Wedemeyer.

Er starb als Märtyrer, aber er hat die weltweite protestantische Theologie nach 1945 tiefgreifend angeregt hat, insbesondere durch seine Bücher, die teilweise posthum herausgegeben wurden, „Nachfolge“, „Ethik“ und „Widerstand und Ergebung“.

5. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen, die du in unsre Dunkelheit gebracht, führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen. Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Dieses Gedicht ist das Gedicht von Dietrich Bonhoeffer, aber es ist auch unser Gedicht. Seine Hoffnung ist unsere Hoffnung. „Dein Licht scheint in der Nacht“, schreibt er. Jesus Christus ist das Licht. Er bringt das Licht in die Dunkelheit, in die Dunkelheit der Herzen, die Dunkelheit der Welt und die Dunkelheit der Kirche. Jesus Christus ist das Licht der Welt. Er gibt ewiges Leben. Die letzte Hoffnung ist Gottes neue Welt, das ewige Leben in seinem Reich, zusammen mit ihm an seinem Tisch.
Von guten Mächten wunderbar geborgen. Dietrich Bonhoeffer ist von guten Mächten wunderbar geborgen und wir sind es. Wir leben unser Leben nicht so bedroht. Wir haben nicht dieses Schicksal. Aber jeder kennt Zeiten, in denen er dieses Lied mit Inbrunst singen kann. Wir sind geborgen in Gottes Liebe, wir können in Angst vertrauen, egal, was uns passiert: Krankheit und Tod, Abschied und Trauer. Es ist Gewissheit, die aus diesem Lied spricht, Gewissheit sogar in Todesangst. Es ist Vertrauen und Geborgenheit. Bonhoeffer hätte auch hysterisch werden können, oder depressiv oder hätte sich das Leben nehmen können. Er hatte das in der Haft einmal kurz überlegt. Aber er singt ein Loblied, ein Lied des Vertrauens, des Vertrauens in Gott. Dieses Lied ist vielleicht so etwas wie ein moderner Psalm, der Trost und Stärkung und Mut gibt. Die Sorgen, die wir uns machen, die mögen berechtigt sein. Aber wir sollen uns ihnen nicht restlos hingeben. Sorge dich nicht, sagt Jesus. Du bist von guten Mächten wunderbar geborgen.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so laß uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Frank Rudolph