Das 2. Gebot
Abgedruckt in: Miteinander. Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach, Nr. 47, Oktober bis Dezember 2006, 5-8.
Wie stellen Sie sich Gott vor? Als Mann oder als Frau, als Vater oder Mutter, ist er alt oder jung, als Computer oder als big brother? Im 2. Gebot geht es um unsere Vorstellungen. Welches Bild machen Sie sich von Gott?
Die 10 Gebote – und damit das 2. Gebot – finden wir zweimal in unserer Bibel, einmal im 2. Buch Mose (Exodus) und einmal im 5. Buch Mose (Deuteronomium). Ich lese das 2. Gebot, wie es im 5. Buch Mose steht.
Dtn 5,8f: Du sollst dir kein Gottesbildnis machen, das irgend etwas darstellt am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld.
Was ist also nach diesem Gebot zu tun? Du sollst dir kein Gottesbild machen. Du sollst dir keine Darstellung machen von irgend etwas am Himmel, auf der Erde oder im Wasser. Du sollst nicht anderen Göttern dienen und dich vor ihnen niederwerfen.
In diesem Gebot erfahren wir auch einiges von Gott: Gott ist ein eifersüchtiger Gott. Er verfolgt die Schuld bis in die nächsten Generationen – und er erweist seine Huld bis in die nächsten Generationen.
Der Mensch macht Bilder
Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas. Können Sie sich eine Welt ohne Bilder vorstellen? Dieses Gebot übertritt jeder. Jeder von uns hat Bilder und macht Bilder. Gemälde und Fotokameras. Filmkameras und Fernsehen. Fotohandys. Wir stellen das dar, was im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ist. Wir machen uns ein Bild – und wir machen uns ein Bild von Gott.
Wie sieht Gott aus? Auf dem Altar in unserer Marienkirche in Niederweidbach ist er zu sehen. Auf dem Gemälde mit der Himmelfahrt der Maria ist er links oben. Er sieht alt aus. Er hat einen langen, weißen, etwas zotteligen Bart. Er trägt eine goldene Krone und einen braunen Umhang. Er hat ein rotes Tuch links und rechts von den Schläfen.
Jesus ist dort übrigens auch dargestellt. Er hat braunes Haar und einen braunen Bart, kürzer als der von seinem Vater. Er trägt auch eine Krone, aber sie ist nicht so prächtig wie die vom Vater. Er hat einen rotem Umhang, und sonst nichts an. Man sieht seinen Bauch, seinen Bauchnabel, er sieht irgendwie sehr dünn aus. Der Heilige Geist schwebt als Taube zwischen Vater und Sohn.
Auch in unserer Kirche in Rossbach ist übrigens Gott zu sehen. Wir haben das Miserior-Hungertuch im Eingang hängen und Jesus ist im Kirchenfenster dargestellt.
Haben wir mit unserem Altar in der Marienkirche, mit dem Hungertuch und der Glaskunst im Rossbach gegen Gottes Gebot verstoßen? Sündigen wir, wenn wir religiöse Kunst zu Hause haben?
Ja, jedes Bild ist ein Verstoß gegen Gottes Gebot
Ja, sagen die einen. Ja, wir sündigen, wenn wir Bilder haben. Ja, sagt Gott in seinem 2. Gebot. Ja, sagen unsere jüdischen Brüder und Schwestern. Ja, sagt Paulus in seiner berühmten Rede in Athen und im Römerbrief. Ja, sagen die ersten Christen und Christinnen, die nach Jesu Tod gelebt haben. Bis ins dritte Jahrhundert gab es keine Bilder im Christentum aus Gehorsam gegen Gottes Gebot. Ja, sagen alle Feinde von Bildern, die Gott darstellen. Im 8. und 9. Jahrhundert tobte ein erbitterter Kampf von Freunden und Feinden der Bilder. Ja, sagen die Reformatoren Huldrich Zwingli und Johannes Calvin und mit ihnen die evangelisch-reformierte Kirche bis heute.
Sie sagen: Bilder sind heidnisch, Gott hat sie verboten. Bilder sind Götzendienst. Bilder sind nicht nur ein Bild, sondern die Gegenwart des Abgebildeten. Bilder wollen den Abgebildeten festhalten – Gott kann man aber nicht festhalten. Bilder gefährden die reine christliche Lehre.
In der Tat ist es so, dass Bilder verehrt wurden und werden durch Gebete vor den Bildern, durch das Schmücken und Inszenieren der Bilder, durch das Anzünden von Lichtern vor den Bildern, durch das Verneigen des Hauptes vor den Bildern, durch das Mitführen der Bilder in Prozessionen und durch das Pilgern zu Bildern. Das ist jedoch alles durch Gottes zweites Gebot verboten.
Nein, Bilder sind kein Verstoß gegen Gottes Gebot
Es gibt aber noch die anderen, die sagen, dass religiöse Kunst kein Verstoß gegen Gottes Gebot ist. Die, die ab dem 3./4. Jahrhundert Malerei und Plastiken herstellten, sehen darin keinen Verstoß. Sie sind der Meinung, dass Bilder Wunder vollbringen und Gebete erhören, weil sie die Dargestellten Heiligen nicht nur darstellen sondern auch sind. Auch der Reformator Martin Luther befürwortete die Bilder.
Sie sagen: Es ist nicht schlimm, Christus, Heilige und Maria darzustellen. Christus war Mensch und Menschen dürfen dargestellt werden. Eigentlich ist es zwar verboten, aber es dient der Erbauung und die, die nicht lesen können, lernen etwas von Gott, wenn sie die Bilder anschauen. Deswegen brauchen wir Bilder, auch Bilder in den Bibeln für Erwachsene und für Kinder. Luther sah wie Zwingli und Calvin die Gefahr des religiösen Missbrauchs der Bilder, aber er war gegen eine gewaltsame Abnahme der Bilder. Er sagte: Die, die nicht lesen können, brauchen Bilder, um das Evangelium kennen zu lernen. Bilder sind gemalte Bücher, die vom Evangelium erzählen.
Wechselvolle Bild-Geschichte
In der Geschichte waren mal die Bilderverehrer an der Macht, mal die Bildergegner.
Die Bilderverehrer stellten Bilder her, die Bilderbekämpfer verboten die Bilder und entfernten sie aus den Kirchen, manchmal auch mit Gewalt. Meist gab es beide Positionen nebeneinander, wenn auch räumlich getrennt. In dem ersten großen Bilderstreit von 726 bis 842 siegten die Bilderverehrer und die christliche Kunst nahm einen enormen Aufschwung. Durch die Reformation kam der zweite große Bilderstreit, die Evangelisch-Reformierten standen gegen die Evangelisch-Lutherischen, letztere hatten in der Frage der Bilder die gleiche Meinung wie die Katholiken. Von 1522 bis 1566 wurden in weiten Teilen Europas Bilder meist ohne und manchmal auch mit Gewalt aus den Kirchen entfernt, in Deutschland, in der Schweiz (z.B. 1528/1529 Basel und Bern), in Großbritannien (besonders zwischen 1535-1540), in den Niederlanden (besonders 1566), in Frankreich, in den baltischen Ländern und in Irland.
Heute
Auch heute stellt sich die Frage, wie wir das 2. Gebot leben und interpretieren. Die Zehn Gebote, die Botschaft von Jesus und die Bibel erkennen wir als Autorität für unser Leben an.
Wir sagen Ja zur christlichen Kunst, sie ist schön, aber auch unzulänglich. Und irgendwie ist uns die Entscheidung Ja oder Nein zu Bildern bereits abgenommen. Wir leben mit Bildern, sie umgeben uns. In Niederweidbach haben wir einen schönen Altar, in Rossbach schöne Glasbilder.
Künstler malen Bilder mit christlichen Symbolen, sie sind wichtig und gut.
Künstler malen Bilder und Geschichten, die in der Bibel stehen. Diese Bilder können nützlich sein, solange die Interpretation der biblischen Erzählung richtig ist.
Künstler malen Gott und Jesus. Diese Bilder müssen an der Bibel gemessen werden.
Künstler sind Menschen – Menschen können nur menschlich denken. Das menschliche Gehirn und das menschliche Fassungsvermögen kann Gott nur menschlich, nur in menschlicher Gestalt denken.
Bilder sind Versuche und Hilfsmittel, das Unvorstellbare mit unserem Verstand etwas begreifbarer zu machen. Die Bibel lehrt uns jedoch, dass unser Wissen und Verstand mit Finsternis und Sünde bedeckt sind, sie sind begrenzt und anfällig für das Böse.
Und dann gibt es ja auch noch Bilder in der Sprache. Die Bibel ist voll davon. Jesus wusste, dass wir Menschen Gott nicht begreifen und ihn uns nicht vorstellen können, daher sprach er in Bildern. „Gott ist wie ein…“ sagte er, „wie ein guter Hirte, wie ein Vater“.
Wir freuen uns an der Kunst, wissen aber um ihre Unzulänglichkeit. Wir schätzen sie, aber wir verehren sie nicht. Wir beten nicht vor den Bildern. Wir erwarten keine Wunder von ihnen. Wir wissen, Gott ist anders und er wird immer anders sein, als wir es uns vorstellen und ausmalen können.
Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas.
Gott ist ganz anders, und mit dieser Erkenntnis ehren wir ihn, loben wir ihn, lassen ihn Gott sein, den heiligen Gott, der keine anderen Götter neben sich duldet.
Frank Rudolph