235 Jahre Hagelschlagstag, 35 Jahre neue Kirche Rossbach,
10 Jahre Buntglasfenster
Abgedruckt in: Miteinander. Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach, Nr. 47, Oktober bis Dezember 2006, 36-38.
Der auferstandene Jesus Christus befindet sich noch im Grab. Er ist auferstanden, er lebt. Er wendet sich zur Tür der Grabkammer, in die ihn seine Freunde gelegt haben. Jetzt, sein erster Schritt, sein zweiter. Er tritt aus der Kammer heraus – und steht in Rossbach. Mitten in Rossbach.
Das habe ich mir nicht ausgedacht, das ist die Aussage von dem Bild über dem Altar. Das sagt diese Glaskunst von Manfred Staudt. Sie wurde im Jahr 1996 eingebaut, zehn Jahre ist das her.
Der auferstandene Jesus. Rot, von Licht umrundet. Er steht vor seiner Grabkammer – und sieht Rossbach.
Was sieht er? Er sieht geradeaus. Er sieht nach links. Er sieht nach rechts. Was sieht er?
Er sieht die Häuser. Er sieht die Strassen. Er sieht die Gärten. Er sieht die Menschen. Kein Dach, unter dem nicht Freude ist. Kein Dach, unter dem nicht Kummer ist. Kein Dach, unter dem nicht Schmerz ist.
Er sieht die Gesichter. Die Gesichter neu Geborener, die großen Augen, die die Welt aufsaugen. Die Gesichter der Kinder, die spielen und wild toben. Die Gesichter der Jugendlichen, die voller Tatendrang sind und brausen. Die Gesichter der Verliebten. Die Gesichter derer, die im Arbeitsleben stehen, die 30 werden, und 40 und 50. Die Gesichter derer, die so viel gesehen haben, dass sie fast schon wieder resignieren. Die Gesichter der Alten mit den Falten.
Jesus steht da und sieht, und schaut. Gleich wird er den Mund öffnen und zu uns sprechen. Was wird er sagen? Was wird er sagen, wo er die Häuser, die Strassen, die Gärten, die Menschen gesehen hat. Wird er überhaupt was sagen, wo er gerade aus dem Grab kam und nun in Rossbach steht und all das gesehen hat? Wird er zu uns sprechen, oder wird er weitergehen. Nach Niederweidbach vielleicht oder nach Oberweidbach oder nach Wilsbach oder nach Bischoffen oder nach Rom oder geht er gleich nach Israel? Wird er den Mund öffenen und zu uns sprechen?
Jesus steht vor der Grabkammer. Hinter ihm liegen die drei Tage, die er im Grab lag. Hinter ihm liegen die Stunden der Verhaftung, der Verhöre, der Folter, der Kreuzigung, die Stunden am Kreuz, die Schmerzen und der Tod. Er steht noch. Und jetzt spricht er.
Er sagt: „Ich freue mich, bei euch in Rossbach zu sein. Ich freue mich, hier zu sein, in eurer Mitte. Ich bin gerne bei euch.“ Jesus hat versprochen, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind, da ist er mitten unter ihnen.
Er sagt: „Ich bin auferstanden, das Unmögliche ist möglich geworden. Ich bin auferstanden, das bedeutet das Ende der Resignation. Ich bin auferstanden, das ist das Ende der Trauer“. Auferstanden, das heißt: Wunder sind möglich, das Unmögliche ist möglich geworden am Ostermorgen – aber auch täglich bei euch. Glaubt an die Auferstehung. Glaubt an die unglaubliche Kraft Gottes in eurem Leben.
Er sagt: „Gott ist gegenwärtig. Er ist bei euch. Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Er dagt: „Ich beauftrage euch als meine Botschafter in dieser Welt. Ich beauftrage euch als meine" Verwalter. Geht in meiner Kraft.
Jesus, aus dem Grab gekommen und jetzt bei uns. Jesus, er hat zu uns gesprochen, hier in Rossbach. Und er spricht zu allen, überall.
Weil Jesus hier ist, hier und heute hier ist, können und dürfen wir dankbar an die Dinge erinnern, deren kleines Jubiläum wir heute feiern.
Vor 235 Jahren war dieses schreckliche Gewitter in Rossbach, Wilsbach und Erda, das die Ernte zerstörte und Häuser zerstörte. Am 2. September 1771, nachmittags um 1 Uhr. Es wurde gelobt, jedes Jahr einen Gottesdienst am 2. September zu feiern und Buße zu tun, um an dieses Ereignis zu denken. Seit 2005 feiern die Kirchengemeinden Niederweidbach und Wilsbach diesen Gottesdienst gemeinsam. Die Kollekte sollte, so der Beschluss damals, Zitat: „den Sonntag drauf jährlich hier in der Mutterkirche unter die Hausarmen des Kirchspiels soll ausgetheilt werden. Acht Tage drauf als den 9. September habe ich den Anfang mit solchem Gottesdienst gemacht und nach der Kirche eine Collecte vor die Armen gehalten 1fl 3“ so Köhler.
Vor 35 Jahren wurde diese Kirche hier mit einem Gottesdienst in Dienst genommen. Die Kommune erwog 1963 die alte Schule mit Betsaal der Kirchengemeinde zu schenken, die Schule war überflüssig geworden durch die neue Schule in Niederweidbach. Die Kirchengemeinde nahm 1965 die Schenkung an. 1968 wurde die alte Schule bis auf die Grundmauern abgerissen. 1971 wurde der Kirchturm aufgebaut. Am 11. Juli 1971 wurde diese Kirche hier eingeweiht.
Wie an jedem Gebäude sind Restaurierungen und Sanierungen nötig, und so wurde ab 1993 über eine Außensanierung des Glockenturms und der Fenster nachgedacht. Die Kirchenverwaltung genehmigte die Maßnahmen. 1995 und 1996 wurden die Maßnahmen abgeschlossen, vor zehn Jahren. Der Festgottesdienst war am 8. Dezember 1996. Manfred Staudt, 1962 geboren, lebt und arbeitet nach wie vor in Darmstadt, er hat Ausstellungen und gehört zur Darmstädter Sezession, einer Künstlergruppe. 1996 hat er auch die Fenster der Petruskirche in Wiesbaden gestaltet.
Wir haben heute viel zu feiern und zu bedenken. Wir sind eine bunte Kirchengemeinde mit drei verschiedenen Dörfern, mit verschiedenen Menschen, unterschiedlich an Alter, Charakter, Schwerpunkten, Ansichten und Kräften. Wir haben unterschiedliche Fragen, Zweifel und Ängste.
Was uns verbindet ist der Glaube an den Auferstandenen. Wäre er nicht auferstanden, gäbe es keine christliche Gemeinde, wären wir heute nicht zusammen. Er, der Auferstandene, ist unter uns. Deshalb macht die Arbeit in unserer Kirchengemeinde Sinn, deshalb sind wir zusammen. Das Bild vom Auferstandenen gibt uns Trost, Kraft und Auftrag.
Der auferstandene Jesus Christus befindet sich noch im Grab. Er ist auferstanden, er lebt. Er wendet sich zur Tür der Grabkammer, in die ihn seine Freunde gelegt haben. Jetzt, sein erster Schritt, sein zweiter. Er tritt aus der Kammer heraus – und steht in Rossbach. Mitten in Rossbach.
Frank Rudolph