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100 Jahre Evangelisches Gemeindehaus Niederweidbach 1912-2012

Abgedruckt in: Miteinander. Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach Nr. 61. Ab August 2012, 4-27.


EINLEITUNG

Am 14. November 1912 wurde das Evangelische Gemeindehaus in Niederweidbach. Es wurde 1911-12 erbaut. „Schwesternhaus„ ist die Dorfbezeichnung für das Gebäude, es ist das Gemeindehaus, in dem lange auch eine Gemeindeschwester wohnte. Seit 100 Jahren ist das Haus mit dem Gemeindesaal Sammelpunkt und Mittelpunkt der kirchlichen Gemeindearbeit. Im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und danach diente es auch als Diakoniestation, als Klassenzimmer, als Sprechstundenzimmer eines Arztes, als Wohnung von Flüchtlingen und Evakuierten und als Gottesdienstraum. Ab und zu übernachten heute dort Pilger, Handwerker auf der Walz oder Jugendliche, die auf einer christlichen Fahrradfreizeit unterwegs sind.

Das Niederweidbacher Gemeindehaus war das erste Gemeindehaus im Dekanat Gladenbach und im Kreis Biedenkopf. In dieser Zeit entstanden Gemeindehäuser, weil das evangelische Gemeindeleben insgesamt umfangreicher wurde. Da die Kirchengemeinden vielerorts keinen Versammlungsort hatten außer der Kirche und dem Pfarrhaus, fanden Gemeindeveranstaltungen in den Gasthäusern statt. Dies wurde wegen des Alkoholkonsums als problematisch angesehen und so entstanden die Evangelischen Gemeindehäuser.

Der 14. November 1912 war ein großer Tag für die Kirchengemeinde, die zu diesem Zeitpunkt aus den vier Dörfern Niederweidbach, Oberweidbach, Roßbach und Bischoffen bestand. Die Statistik aus dem Jahr 1910 zeigt die Bevölkerungszahlen: Niederweidbach hatte 448 Einwohner, 416 davon waren evangelisch. Oberweidbach hatte 194 Einwohner, alle waren evangelisch. Roßbach hatte 214 Einwohner, 199 waren evangelisch. Bischoffen hatte 593 Einwohner, 464 waren evangelisch (vgl. Mencke, Statistik).

GEMEINDEPFLEGE SEIT 1904

Bereits vor dem Bau des Hauses wurde am 13. März 1904 eine Gemeindepflege des Diakonissenhauses Paulinenstiftung zu Wiesbaden in Niederweidbach mit einer Schwester errichtet (vgl. Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung, XI. Jahresbericht, 21). Schwester Katharina Koob vom Diakonissenhaus Paulinenstift in Wiesbaden kam nach Niederweidbach.

In den folgenden Jahren erscheint in den Jahresberichten des Diakonissenmutterhauses unter der Gemeindepflege jeweils auch die Statistik für Niederweidbach. Die Schwester pflegte und besuchte, sie machte Tagpflegen und Nachtwachen. Sie sammelte die weibliche Jugend:
1907/08: 122 Pfleglinge, 32 Männer, 45 Frauen, 45 Kinder. 1351 Besuche, 5,5 Tagpflegen, 28 Nachtwachen gemacht. Diese Schwester hat 1904 einen Jungfrauenverein gegründet, der von 15 Mädchen besucht wurde. Sie trafen sich Sonntag nachmittags in der Schwesternwohnung (XI. Jahresbericht, 23).
1909/10: 122 Pfleglinge, 22 Männer, 29 Frauen, 61 Kinder. 1518 Besuche, 5 Tagpflegen, 37 Nachtwachen (XIV. Jahresbericht, 27).
1910/11: 99 Pfleglinge, 38 Männer, 41 Frauen, 20 Kinder. 1167 Besuche, 11,5 Tagespflegen und 23,5 Nachtwachen (vgl. XIV. Jahresbericht, 29).
1911/12: 104 Pfleglinge, 32 Männer, 37 Frauen, 35 Kinder. 1346 Besuche, 14,5 Tagpflegen und 51 Nachtwachen (vgl. XV. Jahresbericht, 22).
1912/13: 65 Pfleglinge, 11 Männer, 33 Frauen, 21 Kinder, 1199 Besuche, 7,5 Tagpflegen, 20,5 Nachtwachen (vgl. XVI. Jahresbericht, 23).
1913/14: 89 Pfleglinge, 14 Männer, 49 Frauen, 26 Kinder. 1395 Besuche, 7,5 Tagespflegen, 32 Nachtwachen (vgl. XVII. uns VXIII. Jahresbericht, 33).
1914/15: 95 Pfleglinge, 17 Männer, 55 Frauen, 23 Kinder. 1432 Besuche, 2 Tagespflegen, 14 Nachtwachen (vgl. XVII. und VXIII. Jahresbericht, 35). Der Jungfrauenverein findet 1913/14 im „Diakonissenheim„ statt, zehn Mädchen treffen sich Sonntag nachmittags von 15.30 bis 18 Uhr (a.a.O. Seite 41).
1915/16: 76 Pfleglinge, 16 Männer, 34 Frauen, 26 Kinder. 1200 Besuche, 6 Tagespflegen, 12 Nachtwachen (vgl. XIX., XX und XXI. Jahresbericht, 28).
1916/17: 134 Pfleglinge, 34 Männer, 66 Frauen, 34 Kinder. 2018 Besuche, 1,5 Tagpflegen, 21 Nachtwachen (vgl. a.a.O. 30).
1917/18: 102 Pfleglinge, 15 Männer, 52 Frauen, 35 Kinder. 1864 Besuche, 3,5 Tagespflegen, 13 Nachtwachen (a.a.O. 33).
Die Kirchengemeinde Niederweidbach war der Diakonie verbunden. Im Bericht über die 15. Ordentliche Generalversammlung des Vereins für weibliche Diakonie im Konsistorialbezirk Wiesbaden 1907 heißt es, dass die Kirchengemeinde dem Verein für allgemeine Vereinszwecke 10 Mark geschenkt hat (Seite 16). Außerdem gab sie als Festgabe zum 25-jährigen Jubiläum der Paulinenstiftung 10 Mark (a.a.O., 17). Im gleichen Bericht wird gesagt, dass der Verein für weibliche Diakonie die Gemeinde Niederweidbach mit 100 Mark unterstützt hat (a.a.O., 20). Auch in den Jahren 1907/08 und 1908/09 gab die Kirchenkasse Niederweidbach je 10 Mark an den Verein für weibliche Diakonie und 1908 erhielt sie erneut 100 Mark (Verein für weibliche Diakonie, Bericht 1909, 14 und 17).

PFARRER WILHELM KURZ 1905-13

Wilhelm Kurz war der Pfarrer, der den Bau des Gemeindehauses vorantrieb. Von 1905 bis 1913 war Wilhelm Kurz Pfarrer in Niederweidbach (vgl. Rudolph, Pfarrer). In seiner Amtszeit schloss sich der Niederweidbacher Missionsverein 1906 der Rheinischen Mission an, die später zur Vereinten Evangelischen Mission wurde. Kurz stammte aus Neukirch im Oberwesterwald. Er wurde am 12. April 1868 geboren, seine Ordination in Griesheim war am 31. Oktober 1895. Dann wirkte er in Schwanheim am Main, in Brandoberndorf unterstützte er seinen Vater, in Gemmerich war er Pfarrverwalter. Dann wurde er 1895 Pfarrvikar in Beilstein, 1899 Pfarrer in Obereisenhausen und 1901 in Beilstein. Kurz kam mit 37 Jahren nach Niederweidbach und hatte in seinen Berufsjahren bereits viele Erfahrungen sammeln können. 1907 wurde das Dachgeschoss des Pfarrhauses umgebaut und 1909 ein Ofen für die Marienkirche angeschafft. Sein größtes Projekt war jedoch der Bau des Gemeindehauses. 1913 – als das Gemeindehaus fertig war – zog er weiter und wurde Pfarrer in Gladenbach.

BAUPLANUNG 1900-1911

Der Plan, ein Gemeindehaus in Niederweidbach zu bauen, entstand bereits 1900. Seit 1900 wurde in einem Baufonds Geldgesammelt. Der Grundstock für den Baufonds waren größere Gaben einzelner Spender. Die Gelder waren ausdrücklich für den Bau eines Schwesternhauses gegeben worden. Zwölf Jahre lang wurden dann durch die Pfarrer Spenden gesammelt. Im Jahr 1911 waren 1.400 Mark erreicht.

Es gab vier Gründe für den Bau des Gemeindehauses.
1. Der Leiter des Wiesbadener Diakonissenheims versuchte mehrfach, die Diakoniestation von Niederweidbach nach Bischoffen zu verlegen und dort die Schwestern von Niederweidbach und Eisemroth gemeinsam zu stationieren.
2. Die Mietswohnung der Niederweidbacher Schwester bei Heinrich Fuß war zu klein. Die Schwester sammelte die jungen Mädchen des Dorfes um sich. Mit acht bis zehn Mädchen war ihre Wohnung voll.
3. Die Niederweidbacher politische Gemeinde kündigte der Kirchengemeinde den Niederweidbacher Schulsaal für den Konfirmandenunterricht 1912. Für den Schulsaal sollten neue Klappschulbänke angeschafft werden und die Konfirmanden sollten diese nicht benutzen.
4. Die drei Außendörfer der Kirchengemeinde, also Bischoffen, Oberweidbach und Roßbach, verlangten die Verlegung des Konfirmandenunterrichts in eine frühere Nachmittagsstunde im Interesse der Sicherheit der Kinder. Bisher hatte der Konfirmandenunterricht erst nach Ende des Nachmittagsschulunterrichts begonnen.
Daher entstand der Plan, einen Konfirmandensaal in Verbindung mit einer Schwesternwohnung zu bauen.

Bei der Suche nach einem Grundstück wurden fünf Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Die erste Idee war der Abriss der Waschküche und des sich anschließenden Holzschuppens auf dem Grundstück des Pfarrhofes und ein Neubau an dieser Stelle. Der Keller des neuen Gebäudes sollte die neue Waschküche werden und aus dem Material des alten Holzschuppens sollte ein neuer Holzschuppen gebaut werden in der Südostecke des Pfarrhofs. Der Vorschlag dieses Plans kam vom Bürgermeister und 1910 wurde dieser Plan beschlossen. Der Kirchenbaumeister genehmigte diesen Plan jedoch nicht aus technischen, ästhetischen und praktischen Gründen. Der vorhandene Waschküchenbau sei, wenn auch reparaturbedürftig, so doch noch keineswegs des Abreißens reif. Durch den gedachten Neubau auf dem Pfarrhofgrundstück werde dessen jetzige schöne geschlossene Einheitlichkeit zerstört und das Pfarrhofgrundstück selbst in seinem Wert für die Pfarrfamilie beträchtlich herabgesetzt. Dies war das Ende des ersten Plans. Eine zweite Idee war der Ankauf des Hanickel´schen Grundstücks mit Wohnhaus und Scheune. Diskutiert wurde drittens die Erwerbung des ungenutzten Gemeindebackhauses vor dem Pfarrhaus (vgl. Dittmann, Spuren). Erwogen wurde viertens auch, das Gemeindehaus auf dem Hengst´schen Bauplatz unterhalb des Pfarrhausgrundstückes zu errichten. Die Verhandlungen mit dem Eigentümer brachten jedoch kein positives Ergebnis. Gebaut wurde das Gemeindehaus dann auf einer der Zivilgemeinde gehörenden Wiese oberhalb der Wilhelm Lotz´schen Scheuer.

Als Architekt wurde Kirchenbaumeister Ludwig Hofmann aus Herborn beauftragt. Kostenobergrenze waren 10.000 Mark. Sein erster Entwurf wurde nicht angenommen. Sein zweiter Plan sah eine Dreizimmerwohnung mit kleiner Küche für die Schwester vor und einen Saal als Gemeindehaussaal. Dieser Saal hatte eine Klappwand, die den Raum teilte. Auf der einen Seite sollte der Konfirmandensaal sein, auf der anderen Seite das Jugendheim. Zunächst hatte man nicht an ein Jugendheim gedacht, aber zwischenzeitlich war die Jugendpflege in der Evangelischen Kirche als wichtiges Arbeitsgebiet erkannt worden. Im Keller wurde ein Raum zu Erteilung des hauswirtschaftlichen Unterrichts geplant. Dieser Raum wurde mit Unterstützung des Vaterländischen Frauenvereins konzipiert.

Am 2. Juli 1911 wurde der zweite Plan von Hofmann mit einer Dreiviertel-Mehrheit angenommen. Es gab nur wenig Widerspruch. Die Bausumme von 10.000 Mark sollte zum einen durch den Baufonds in Höhe von 1.300 Mark aufgebracht werden. Es sollte außerdem eine Anleihe aufgenommen werden über 8.000 Mark und es wurden Beihilfen von mindestens 1.000 Mark erwartet. Die Beihilfen lagen letztlich deutlich höher. Man rechnete zudem mit freiwilligen Gaben der Gemeindeglieder, mit einem jährlichen Zuschuss der vier Zivilgemeinden Bischoffen, Niederweidbach, Oberweidbach und Roßbach und mit einem Zuschuss des neu gegründeten Diakonievereins. Aus der Sicht des Pfarrers waren damit alle finanziellen Dinge besprochen und geklärt. Aus der Sicht der Kirchenbehörde war das Unternehmen finanziell nicht fundiert und daher erteilte die Kirchenbehörde keine Baugenehmigung. Pfarrer Kurz begann den Bau dann ohne Baugenehmigung. Er wurde unterstützt durch Landrat Dr. Daniels von Biedenkopf.

Die fehlende Baugenehmigung und eine Beschwerde der Kommune Roßbach gegen die Bauausführung beim königlichen Landratsamt brachten Erschwernisse beim Bau. Die politische Gemeinde Roßbach fürchtete finanzielle Belastungen durch diesen „geistlichen„ Bau. Der Roßbacher Bürgermeister erklärte am 25. Juli 1911, dass der Bau nicht notwendig sei und dass daher die Gemeinde Roßbach ihren Beitrag zu den Baukosten ablehne. Auch in Niederweidbach und Oberweidbach gab es Vorbehalte gegen einen festen Jahresbeitrag zu den Baukosten. Der Landrat und der Pfarrer konnten sie zerstreuen. Der Landrat machte finanzielle Zusagen. Alle drei Zivilgemeinden des Kirchspiels Niederweidbach gaben dann nachträglich ihr Einverständnis zu dem Bau, der schon seiner Vollendung entgegen ging. Lediglich Bischoffen gab keine Einwilligung. Um der politischen Gemeinde Bischoffen entgegen zu kommen, wurde ihr ein staatlicher Schulergänzungszuschuss von jährlich 100 Mark bewilligt unter der Bedingung, dass sie ihren jährlichen Kostenanteil für den Bau des Gemeindehauses zu Niederweidbach in Höhe von jährlich 91 Mark und 50 Pfennig zu übernehmen sich bereit erklären. Dennoch lehnte Bischoffen ab. Die Kirchengemeinde Niederweidbach beschloss daher einen Mietpreis für die Mitbenutzung des Konfirmandenzimmers und der Schwesternwohnung für Bischoffen in Höhe von 60 Mark.
Von verschiedenen Organisationen kamen weitere Beihilfen. Generalsuperintendent Maurer aus Wiesbaden erwirkte eine Beihilfe aus Mitteln des evangelisch-kirchlichen Hilfsvereins von 100 Mark, aus den Mitteln der Frauenhilfe 50 Mark und von der Bezirkssynode in Höhe von 400 Mark vor Erteilung der Genehmigung.
Landrat Dr. Daniels förderte das Unterstützungsgesuch beim Vaterländischen Frauenverein, der Kreisverein Biedenkopf gab 200 Mark, der Bezirksverein Wiesbaden dieselbe Summe und der Landesverein von Berlin spendete 400 Mark.
Die Roßbacher hatten den Bau mit Geldern aus ihrem Gotteskasten finanziell unterstützt (vgl. Dittmann, Ungleiche Schwestern, 413).

BAUDURCHFÜHRUNG 1911-12

Die Arbeiten wurden in der Hoffnung auf die bald erteilte Baugenehmigung des Konsistoriums ausgeschrieben und vergeben. Maurermeister Karl Roth von Hohensolms bekam den Auftrag, er sollte das Gebäude für 9.000 Mark schlüsselfertig übergeben. Roth vergab seinerseits die Zimmerarbeiten an Zimmermann Johannes Schmidt von Roßbach, die Dachdeckerarbeiten an Dachdecker Jakob Schneider von Ahrdt, die Klempnerarbeit an Spenglermeister Jüngst von Herborn, die Lieferung der Eisenteile an den Kaufmann Ed. Rentsch von Niederweidbach, die Glaserarbeit an den Schreiner Christian Roth Niederweidbach, die Schreinerarbeit an den Schreiner Welsch von Hohensolms und die Anstreicherarbeit an den Anstreicher Wilhelm Hengst von Oberweidbach. Der Kirchenvorstand hatte darauf geachtet, dass die Arbeiten weitgehend von Handwerkern aus dem Kirchspiel durchgeführt wurden.

Der erste Spatenstich war im September 1911. Der Herbst war für die Bauarbeiten so günstig, dass sie bis zu Weihnachten weitergeführt wurden und noch nach Neujahr das Dach aufgesetzt werden konnte, nachdem kurz zuvor die Zimmerleute aufgeschlagen hatten. Im Frühjahr und Sommer 1912 wurden die Maurerarbeiten im Inneren, der innere Verputz sowie Schreiner-, Glaser- und Anstreicherarbeiten zu Ende gebracht.

Die Ausführung des Baus entsprach den Erwartungen. Eine zusammenschiebbare Trennwand, die den Saal in zwei gleiche Räume teilte, wurde von Schreinermeister Herrmann aus Niederweidbach hergestellt. Auch die Stühle und zwei zusammenklappbare Tische lieferte bzw. fertigte er. Die Öfen wurden teils geschenkt, teils von der Kirchengemeinde und der Diakonissenstation angeschafft. Direktor Eberhard Jung vom Burger Eisenwerk spendete drei emaillierte Öfen für das Jugendheim, das Schwesternschlafzimmer und das Schwesternwohnzimmer. Direktor Fritz Jung schenkte einen Herd für die Schwesternküche. Der Ofen im Konfirmandenzimmer und in der hauswirtschaftlichen Küche wurde durch Vermittlung von Direktor Eberhard Jung billig abgegeben. Für das Inventar und die Ausstattung der Schwesternwohnung schenkte der Verein für weibliche Diakonie aus Wiesbaden 100 Mark. Zur Ausstattung des Jugendheims schenkte der Kultusminister 300 Mark. Der Schrank im Jugendheim wurde von der Kirchengemeinde gestiftet, er stand leer und unbenutzt auf dem Speicher des Pfarrhauses. Für das Jugendheim wurden statt der Bänke Stühle angeschafft, weil diese Art von Sitzen den Jugendlichen das Heim gemütlicher und behaglicher macht. Die Kaminanlage des Hauses war zunächst nicht gelungen, da beide Schornsteine nicht über den First des Daches hinaus geführt waren. Der Rauch zog in die Schwesternwohnung. Das Problem wurde durch Kaminaufsätze beseitigt.
Die Baugenehmigung der Kirchenaufsichtsbehörde kam am 31. Dezember 1912 nach Fertigstellung, Einweihung, Bezug und Ingebrauchnahme des Hauses.

EINWEIHUNG 14. NOVEMBER 1912

Im November 1912 war das Gemeindehaus fertig. Jetzt gab es Räumlichkeiten für die Sitzungen und Zusammenkünfte der kirchlichen Gemeindeorgane des Frauen- und Jungfrauenvereins, für das Abhalten von kirchlichen Vereins- und Familienabenden. Die Einweihungsfeier bestand aus einem Festgottesdienst, dem Zug zum Gemeindehaus und der Feier dort.

Der Festgottesdienst fand in der Kirche statt. Der Kirchenchor von Weidenhausen und der Posaunenchor von Hartenrod wirkten mit. Die Predigt hielt Pfarrer Adam Christian, der Direktor des Wiesbadener Paulinenstift. Er sprach über die Heilung der blutflüssige Frau (Matthäus 9). Nach dem Festgottesdienst ging die Festversammlung mit Gesang und Posaunenspiel zum Gemeindehaus, das außen und innen festlich geschmückt war. Dort angekommen, erklang der Choral „Lobe den Herrn den mächtigen König der Ehren„. Die Schulkinder sangen. Die Schlüssel wurden übergeben. Dann folgte der Einzug ins das Haus und in den Saal. Die Posaunen bliesen „Unsern Ausgang segne Gott„. Den eigentlichen Weiheakt vollzog Dekan Lehr aus Gladenbach als Vertreter der kirchlichen Behörde. Er sprach über Psalm 100 und er überbrachte Grüße und Segenswünsche des Generalsuperintendenten. Er lobte, dass sich hier eine Landgemeinde zum Bau eines Gemeindehauses entschlossen habe. Jetzt sei die Zeit des Lobpreises. Der Kirchenchor sang, der Posaunenchor spielte. Dann folgte die Nachfeier mit Kaffee und Kuchen. Die Hauswirtschaftslehrerin mit ihren Schülerinnen sorgte für die Bewirtung. Der Ortspfarrer sprach und begrüßte die einzelnen Gruppen und die geladenen Gäste. Er dankte dem Generalsuperintendenten Maurer und Landrat Dr. Daniels für die Unterstützung. Er erläuterte noch einmal den Zweck des Gemeindehauses. Bürgermeister Kloos sprach und Direktor Christian ergriff noch einmal das Wort. Er sprach über den Wert und den Segen der evangelischen Gemeindediakonie, die nun in Niederweidbach einen festen Stützpunkt erhalten habe. Der Kirchenchor sang, der Posaunenchor spielte. Eine Konfirmandin und eine Kochschülerin trugen Gedichte vor. Der Kirchenchor sang zum Schluss: „So nimm denn meine Hände„.

Ein Zeitungsbericht erschien von der Einweihung, dem Gottesdienst in der Kirche und der Feier im neuen Haus:
„Niederweidbach. 22. Nov. Eine seltene Feier vereinigte am vergangenen Sonntag unser Kirchspiel. Sie galt der Einweihung unseres neuerbauten Gemeindehauses, das nach den Plänen des Kirchenbaumeisters Hofmann, Herborn, ausgeführt in seiner gefälligen und soliden Bauart sich vortrefflich dem vorhandenen Ortsbild anpasst, dasselbe bereichernd und verschönernd. Dabei trägt es auch nach seiner gelungenen inneren Ausführung den praktischen Bedürfnissen des Kirchspiels voll und ganz Rechnung. Im Kellergeschoß enthält es ein Küchenlokal als Unterrichtsraum für Hauswirtschaft – eine Stiftung des Vaterländischen Frauenvereins für die Schulmädchen der drei Orte Niederweidbach, Oberweidbach und Rossbach (sic!) (der 4. Ort des Kirchspiels, Bischoffen, besitzt bereits eine hauswirtschaftliche Schule). Die übrigen Einrichtungen des Hauses sollen der Bevölkerung sämtlicher 4 Kirchspielsorten dienen, nämlich einmal der geräumige Gemeindesaal, in welchem sich Sitzplätze für etwa 200 (sic!) Personen herrichten lassen und der für größere Veranstaltungen, Feiern und Familienabende des Kirchspiels Raum bieten, für gewöhnlich aber durch eine verschiebbare Scheidewand in zwei gesonderte Räume, einen Konfirmandensaal und ein Jugendheim geteilt werden soll. Sodann befindet sich im Dachstock die freundliche Schwesternwohnung mit 3 netten Stübchen und einer niedlichen Küche... Die schöne Feier hat bei allen Teilnehmern einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen und wird in der Geschichte unseres Kirchspiels unvergessen bleiben„ (zitiert nach Gerecke, 370; das Zitat ist dort kursiv wiedergegeben, zusammenfassende Sätze sind dort nicht-kursiv, dies wird hier übernommen).

DER VATERLÄNDISCHE FRAUENVEREIN

Die Stifung des Küchenlokalsim Keller Vaterländischen Frauenverein ist ein Hinweis auf die Tätigkeit der bürgerlichen Frauenbewegung in der Region (vgl. Rudolph, 200 Jahre, 118). Als Gründerin der deutschen Frauenbewegung gilt Louise Otto-Peters. Sie forderte bereits 1843 die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates. Die organisierte Frauenbewegung entstand dann 1865, in diesem Jahr wurde der „Allgemeine Deutsche Frauenverein„ gegründet. Er setzte sich zunächst für den Zugang von Frauen zur Bildung und zu akademischen Berufen ein, dann in den 1890er Jahren für die Einführung des Frauenwahlrechts. Der Wetzlarer Vaterländische Frauenverein wurde 1868 gegründet als Zweigverein des Vaterländischen Frauenvereins in Berlin. In Kriegszeiten engagierten sich die Frauenvereine bei Fürsorgeeinrichtungen für die Verwundeten im Feld, in Friedenszeiten verwalteten sie Depotbestände und halfen bei ansteckenden Krankheiten, Teuerung, Überschwemmung, Feuersbrünsten und Eisenbahnunfällen.

DER ARCHITEKT LUDWIG HOFMANN

Ludwig Hofmann (15. Mai 1862-26. Juni 1933) war der Architekt des Gemeindehauses, er war Denkmalpfleger und Kirchenbaumeister der Evangelischen Kirche in Nord- und Süd-Nassau (vgl. Gerecke; Rudolph, Rezension zu Gerecke). Er war alleine und am Anfang mit seinem Bruder Karl Hofmann nach 1871 tätig in fast 450 Kirchengemeinden mit rund 1000 Orten in einem Bereich von 150 Kilometern um Herborn. Er wirkte in Hessen, im Rheinland und im Westerwald. Er gehört stilistisch in die Übergangszeit vom Historismus zur Vorkriegsmoderne mit Jugendstil und Heimatstil. Sein flächendeckendes Engagement machte ihn weit bekannt und man sprach und spricht bis heute von Hofmann-Häusern und Hofmann-Kirchen.
Die Eltern von Hofmann waren in Herborn aktive Mitglieder der Kirchengemeinde gewesen. Ludwigs Vater war Mitbegründer und Kassierer des Herborner Missionsvereins. Ludwig Hofmann eröffnete sein Architekturbüro nach einer Technikerausbildung und einer Gehilfenzeit. 1880/81 plante und baute er zusammen mit seinem Bruder Karl ein erstes Gemeinschaftsprojekt, die Kirche in Wissenbach. Um 1885 gründete Hofmann sein Architekturbüro in Herborn, das Büro bestand offiziell bis 1954. Das Architekturbüro entwickelte sich schnell und gut aus drei Gründen: Nach dem Krieg 1871 gab es eine positive wirtschaftliche Entwicklung, die sich auch in den Dörfern des Hinterlandes und des Westerwaldes zeigte. Hofmann hatte eine enge Verbindung zur Evangelischen Kirche. Durch seine Persönlichkeit und Reputation kam er zu Aufträgen. Die ersten selbständigen Umbauten und Wohnungsneubauten führe Hofmann 1885-90 in Herborn durch. Die ersten größeren Aufträge waren die Kirchenneubauten in Fleisbach (ab 1882) und Königstein im Taunus (1886). 1888/89 baute er im Alter von 26 Jahren seine eigene repräsentative Villa in Herborn mit separaten Büroräumen. Für das florierende Architekturbüro wurde 1893/94 neben der Villa ein Trakt mit Räumen, Chef-Atelier und Zeichensaal gebaut. In diesem Büro arbeiteten bis zu neun Mitarbeiter gleichzeitig. In Herborn engagierte er sich als Stadtplaner. Für Herborn plante er den Neubau der Volksschule, ein Wohnhaus, ein Pfarrhaus, das Missionshaus, die Erweiterung des Krankenhauses, die Erneuerung der Evangelischen Stadtkirche und die Sanierung des Schlosses mit seinen Hofbauten. Hofmann wurde Kirchenvorsteher, Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung und gehörte mehreren Herborner Vereinen an. Er war Mitglied in Kommissionen. Er plante und baute je nach Auftrag in den Dörfern und Städten kleine Kirchen oder Prestigebauten.
Das Amt des Kirchenbaumeisters wurde eingerichtet und Hofmann hatte dieses Amt für den Konsistorialbezirk Nord- und Süd-Nassau von 1904 bis zu seinem Tod 1933 inne. Als Denkmal- und Heimatpfleger war er ab 1911 in der Bezirksdenkmalpflegekommission in Wiesbaden tätig. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, 1913 wurde er Königlicher Baurat.

DIAKONIEVEREIN 1. DEZEMBER 1912

Eine Folge des neuen Gemeindehauses in Niederweidbach war die Gründung des Diakonievereins am 1. Dezember 1912. Dieser Verein war nötig, um die Diakonissenstation in Niederweidbach finanziell in ihrem Bestand zu sichern und die Bevölkerung des Kirchspiels mit festen regelmäßigen Unterstützungen zur Sache der lokalen Krankenpflege heranzuziehen. Ziel war, dass möglichst alle Familien dem lokalen Diakonieverein beitraten. Die schwierigste Aufgabe war die Werbung der Mitglieder von denen jeder einen Jahresbeitrag von mindestens einer Mark zu zahlen hatte. Die Mitglieder hatten finanzielle Vorteile, wenn sie die Schwester benötigten. Der Verein wurde in das Vereinsregister eingetragen. Die meisten traten dem Verein bei, auch jüdische Familien und Mitglieder der Freien Gemeinde in Bischoffen und der Brüdergemeinde in Niederweidbach.

JUGENDARBEIT AB OSTERN 1913

Mit dem neuen Gemeindehaus fing die Jugendpflege in Niederweidbach an. Das Jugendheim war mit ministerieller Unterstützung von 300 Mark eingerichtet worden. Männliche und weibliche kirchliche Jugendarbeit sollte unabhängig vom Wirtshaus stattfinden. Der Raum sollte ein behaglicher und gemütlicher Ort für Jugendliche sein. Es wurden Gesellschaftsspiele und Turnspielgeräte angeschafft. Ende 1912 wurde ein Ortsausschuss zur Förderung der Jugendpflege gebildet. Ständige Mitglieder waren der Lehrer, der Bürgermeister von Niederweidbach und der Pfarrer als der Leiter. Nach Ostern 1913 wurden die Jugendlichen in der Kirche auf Sonntagnachmittag, 16 Uhr in das Jugendheim eingeladen. Die Jugendlichen kamen zu den zwanglosen Treffen. Sie konnten kommen und gehen, wann sie wollten. Nach einigen Sonntagen begann der Pfarrer mit zehnminütigen Andachten. Es wurde Unterhaltung geboten. Gesellschafts- und Zimmerspiele wurden gespielt. Berichte und Vorträge über politische oder Weltereignisse kamen gelegentlich hinzu, ebenso das Liedersingen und Rätsel. Einige lasen. Im Sommer ging es raus auf die Leh, dort wurden Jugendspiele gespielt, an denen sich mitunter auch Schulkinder und ältere Personen beteiligten. Das Zusammensein dauerte von vier bis sechs oder sieben Uhr. Die Anzahl der Anwesenden schwankte zwischen zehn und 30, je nachdem ob sich auch Jugendliche von Bischoffen und Oberweidbach einfanden. Im Sommer 1913 beteiligte sich der Pfarrer an einem Turnspielkursus in Biedenkopf, um nachher auch die Turnspiele auf der Leh selbst leiten zu können. Im Herbst 1913 erlitt die Arbeit in Folge der Versetzung des Pfarrers und der darauf folgenden Vakanzzeit eine längere Unterbrechung, da eine zur Fortführung befähigte Persönlichkeit in Niederweidbach noch nicht gewonnen und vorhanden war.

PATRIOTISCHE FEIER DER JUGEND 15.6.1913

1913 feierte Kaiser Wilhelm II. sein 25jähriges Thronjubiläum. Dies nahm der Gemeindepfarrer zum Anlass für eine patriotische Feier am 15. Juni 1913 im Gemeindesaal. Die Jugend des Kirchspiels aller vier Dörfer wurde eingeladen und sie erschien vollzählig. Die Feier enthielt ein reichhaltiges Programm von musikalischen Darbietungen. Es gab Gesangsolos, Violinsolos, Duette, Terzette, Quartette und Chorlieder. Außerdem Vorträge von Kindern und Jugendlichen, eine Festansprache und ein Schlusswort des Leiters der Jugendpflege. Der Raum war überfüllt, viele standen vor den offen stehenden Fenstern. An der Feier beteiligten sich der Roßbacher Nationale Turnverein und der Niederweidbacher Männergesangverein, der Anfang 1913 gegründet worden war. Vermutlich hat der Krieg ab 1914 wie – an anderen Orten auch – die kirchliche Jugendarbeit erheblich eingeschränkt.
Ende Juli 1913 kam Regierungspräsident von Meister auf Veranlassung des Landrats nach Niederweidbach. Er besichtigte die Kirche und den Altar, außerdem das Gemeindehaus mit dem Jugendheim und der Schwesternwohnung und er sprach mit Schwester Luise.
Das Gebäude wurde auch Fotokulisse. Der Konfirmandenjahrgang 1913 wurde nicht vor der Kirche und nicht vor dem Pfarrhaus fotografiert, sondern vor dem neuen Gemeindehaus.

AUSEINANDERSETZUNG ÜBER BESITZVERHÄLTNISSE

1914 begann ein Streit über die Besitzverhältnisse des Gemeindehauses. Pfarrer Rehberg – seit Februar 1914 in Niederweidbach – hatte sich mit dieser Auseinandersetzung beschäftigt. Bei den Verhandlungen über die Erbauung hatte man es offenbar versäumt, die Besitzverhältnisse eindeutig zu klären. Da das Haus auf einem früheren Zivilgemeindegrundstück erbaut worden war, meinten einige, das Haus gehöre der Zivilgemeinde und der Bürgermeister habe das Verfügungsrecht. Der Bürgermeister kannte die Zusammenhänge und die kirchlichen Gremien hielten einstimmig fest, „dass der Saal künftig nur noch für kirchliche Zwecke verwandt werden solle„ (zitiert nach Schwarz, 54). Zehn Jahre später entflammte die Diskussion erneut. 1927 wurde das Gemeindehaus für einige Zeit Klassenzimmer. Die Kommune hatte eine zweite Lehrerstelle errichtet, es gab aber keinen Schulraum für die neue Lehrkraft. Als Übergangslösung fand der Unterricht im Gemeindehaus statt.

„ZWANGSMIETER„

Nach Kriegsende wurden im leerstehenden Schwesternhaus bis zu drei Familien gleichzeitig einquartiert, die geflohen oder evakuiert waren. Die Kirchengemeinde half gerne, obwohl sie das Gemeindehaus und den Saal für eigene Zwecke benötigte. Da über viele Jahre vom Bürgermeister und vom Kreiswohnungsamt keine andere Wohnmöglichkeit für die Personen gefunden wurde, empfand sie die Mieter als Zwangsmieter. Bereits 1946 wurde um eine Räumung des Gemeindehauses gebeten, da eine neue Schwester nach Niederweidbach kam. Eine Familie im Gemeindehaus bestand aus sieben Personen, eine andere aus sechs. Eine Räumung fand nicht statt. 1950 wurde die Hälfe des Saales frei und die Kirchengemeinde nahm erneut eine Familie auf (vgl. Akte 5. Gebäude und Kirchhof, diverse Schreiben). Nach 1952 zog die Familie aus und die Schwester wieder in die Schwesternwohnung. Pfarrer Sames hatte über mehrere Jahre lang die Kreiswohnungsbehörde um eine neue Wohnmöglichkeit für die Familien gebeten. Die Kirchengemeinde musste für kirchliche Veranstaltungen in den Schulsaal ausweichen. Dort fanden nun die Bibelstunde, der Unterricht und der Kirchenchor statt. Es musste auf den engen Schulbänken gesessen werden. Die 30 bis 40 Mädchen des Mädchenkreises trafen sich lieber in der Küche des Pfarrhauses. Insbesondere die Jugend litt – nach Aussage von Sames – unter dem „geraubten„ Heim. Sames wies im Schriftverkehr auf mögliche andere Zimmer im Dorf hin.

SCHWESTERN UND DIAKONIESTATION

Bis 1941 war in dem Haus die Diakoniestation mit der Schwester vom Paulinenstift in Wiesbaden, dann gab das Paulinenstift die Gemeindepflegestation in Niederweidbach wegen der Einschränkungen durch die Nationalsozialisten auf.
Die Kirchengemeinde verhandelte nach dem Krieg mit dem Paulinenstift in Wiesbaden und mit dem Zehlendorfer Diakonieverband. 1946 wird erneut eine Gemeindeschwester in Niederweidbach erwähnt, Schwester Magdalene, sie kam vom Mutterhaus Frankenstein in Schlesien, das seine neue Heimat in Wertheim am Main gefunden hatte. Schwester Magdalene wohnte jedoch zunächst wohl wegen der Mieter im Pfarrhaus. Schwester Magdalene ging später ins Altenheim nach Herborn. Die Schwesternstation wurde unterhalten durch Zuschüsse der Gemeinden Niederweidbach, Oberweidbach und Rossbach und eine jährliche Haussammlung durch den Kirchenvorstand. Aus dem Jahr 1952 ist bekannt, dass monatlich der Diakoniegroschen gesammelt wurde und dass es Sondersammlungen der Inneren Mission und des Hilfswerks gab. Der Diakoniegroschen ergab durchschnittlich 50-60 Mark.

Die letzte Gemeindeschwester, die im Haus wohnte, war Martha Schröder. Sie kam am 1. Mai 1950 als Gemeindeschwester nach Niederweidbach und auch aus diesem Grund bemühte sich Pfarrer Sames um eine neue Wohnmöglichkeit für die Familie im Gemeindehaus. Martha Schröder sollte dort wohnen. Martha Schröder starb am 4. Mai 1973 bei einen Verkehrsunfall auf dem Dienstweg mit dem Fahrrad. Martha Schröder wurde am 20. Mai 1904 in Giesmannsdorf, Kreis Sprottnau, geboren. Sie war am 2. Oktober 1923 ins Mutterhaus Frankenstein in Wertheim am Main eingetreten. Sie betreute die drei Ortschaften Niederweidbach, Oberweidbach und Rossbach. Ihr Foto hängt in der Kirche in Roßbach im Flur und das Fahrrad, mit dem sie starb, steht heute noch im Gemeindehaus in Niederweidbach auf dem Speicher.

1974/75 diente der Saal als Sprechstundenraum für den Offenbacher Arzt. 1978 wurde die Diakoniestation Gladenbach gegründet als neue Organisationsform der Gemeindeschwestern. 1988 zog ein Prediger in die seit dem Tod von Schwester Martha leerstehende Schwesternwohnung. Er wirkte im Aartalbezirk des Evangelischen Gemeinschaftsverbandes Herborn.

RENOVIERUNGEN UND UMBAU

Das Gebäude wurde mehrmals renoviert und einmal umgebaut. 1940 riß ein Aufsatz vom Schonstein ab. 1941 wurde der Kamin durch Maurermeister Jost aus Wilsbach instand gesetzt (vgl. Akte 5. Gebäude und Kirchhof, diverse Schreiben).
1966 wurde das Dach neu gedeckt und der Kamin erneuert. Pfarrer Dittmann schrieb an die Kirchenverwaltung, dass seit dem Bau des Hauses nichts Wesentliches erneuert worden sei. Der Schiefer des Daches sei brüchig und jedes Jahr sei eine Reparatur nötig. Nicht nur außen seien Reparaturen nötig, auch innen. Die Fenster in der Schwesternwohnung seien undicht, die Dielen im Gemeindesaal ausgetreten und die Bretterschiebewand lasse sich nur noch schwer öffnen (vgl. Akte Schwesternhaus, 30.9.1965). Die Arbeiten wurden von Architekt Klaus Bollmann aus Dillenburg betreut. Die Renovierung wurde durchgeführt. Die Kosten betrugen 17.608,87 Mark.
Eine Außenrenovierung wurde dann 1971-72 durchgeführt, erneut begleitet von Architekt Bollmann, der 1971 auch die Kirche in Roßbach gebaut hatte. Am Gemeindehaus wurde eine neue Wärmeisolierung gemacht und die Nordwand beschiefert. Rollläden wurden erneuert, Anstreicherarbeiten am Hauseingang und an der Treppe wurden durchgeführt. Außerdem wurde ein Heizgerät angeschafft, damit die Wasserleitung nicht einfriert. Die Gesamtkosten betrugen 4.619,28 Mark.
In den Jahren 2001-02 wurde das Gemeindehaus gründlich renoviert und erweitert. Am 13. Oktober 2002 war die Wiederindienstnahme des Gebäudes. Von diesem Ereignis gibt es einen Bericht ohne Datum auf einem Briefbogen der Kirchengemeinde:
„Gäste und zahlreiche Gemeindeglieder füllten die Evangelische Marienkirche zum Festgottesdienst anlässlich der Wiederindienstnahme des renovierten und erweiterten Gemeindehauses der Evangelischen Kirchengemeinde. „Es soll für uns zur Begegnungsstätte werden, in die alle eingeladen sind und Beheimatung in ihrer Gemeinde finden können. Dort wollen wir uns gegenseitig Mut machen durch gemeinsames Hören und Helfen, durch Gespräche und Gebete. Ein Haus der Sammlung der Zurüstung, aber auch des Aufbruchs zu unseren christlichen Aufgaben soll es sein.„ Mit diesen Worten beschrieb Dekan Dieter Schwarz in seiner Festpredigt die Bedeutung des Hauses. Der Gottesdienst wurde durch Pfarrer Jürgen Kuhn und dem Kirchenchor unter Leitung von Karl-Heinz Breidenstein (Hartenrod) mitgestaltet.
Anschließend begaben sich Gemeindeglieder und Gäste zum Gemeindehaus, in dem Dipl. Ing. Rüdiger Weil (Herborn), der mit der Planung und der Bauleitung beauftragt war, die Schlüsselübergabe an Dekan Schwarz vollzog. Dieser erinnerte in seinem Rückblick an den Bau des „Schwesternhauses„ im Jahre 1912, das für 9000 Mark der Gemeinde schlüsselfertig übergeben wurde und im Laufe der Jahrzehnte nicht nur als Schwesternwohnung und Konfirmandenraum, sondern zeitweise auch als Schulsaal, als Behandlungsraum des Arztes aus Offenbach oder auch zur Unterbringung von Evakuierten und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg dienen musste.
Er sprach herzlichen Dank aus gegenüber der Katholischen Kirchengemeinde und deren Küsterin Anni Krusche für die Mitbenutzung des Gemeinderaumes in der Katholischen Kirche während der Bauzeit wie auch der bisherigen Hausmeisterin Lieselotte Lotz für ihre 12jährigen treuen Dienste und überreichte beiden Buch- und Blumengeschenke.
Der stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes, Ernst Dix, dankte allen Firmen für ihre Arbeit wie auch besonders den vielen Helfern aus der Gemeinde für ihr großes Engagement bei den zahlreichen freiwilligen Arbeitseinsätzen während der Bauzeit. Bischoffens Bürgermeister Harald Semler wie auch Vertreter einzelner Ortsvereine überbrachten Grußworte und überreichten Geldgeschenke zur weiteren Ausgestaltung des Hauses. Der Frauenkreis hatte die Räumlichkeiten festlich geschmückt und bewirtete alle Gäste in den freundlich hellen und einladenden Gemeinderäumen.
Da das Gebäude seit längerer Zeit nicht mehr den Bedürfnissen der Gemeinde entsprach und stark renovierungsbedürftig war, hatte sich der Kirchenvorstand zur Renovierung und Erweiterung entschlossen. Die Finanzierung der Gesamtkosten in Höhe von 320.000 Euro erfolgt zur Hälfte durch Mittel der Gesamtkirche. Ein Zuschuss des Amtes für Regionalentwicklung im Rahmen der Dorferneuerung in Höhe von 76.650 Euro entlastet die Kirchengemeinde entscheidend, da sie die Restkosten wie auch sämtliche Kosten der Neueinrichtung selbst zu tragen hat.„

VERANSTALTUNGSORT

Das Schwesternhaus war seit dem Bau der Ort der Jugendpflege in der Kirchengemeinde (vgl. Ortschronik 128f, 500, 510f, 513, 523, 529, 532, 532, 535, 541, 583). Aus dem Jahr 1980 gibt es eine Aufstellung, welche Veranstaltungen im Gemeindehaus stattfinden: Montags war vierzehntägig Jugendstunde, dienstags Konfirmandenunterricht, Posaunenchor und Kirchenchor. Mittwochs Altennachmittag und gelegentlich Kirchenvorstandssitzungen, donnerstags war Vorkonfirmandenunterricht und Bibelstunde, freitags war vierzehntätig Jungschar, samstags war gelegentlich Kindergottesdienstvorbereitung, meist fand sie jedoch im Pfarrhaus statt.
Die Liste der Veranstaltungen, die heute das Jahr über im hundertjährigen Gemeindehaus stattfinden: Kindergottesdienst, Konfirmandenunterricht, Kirchenchor, Kirchenvorstand, Gemeindefeier, Familienfeiern, Elternabende, Seegotteesdienstvorbereitungstreffen, Bibelstunde, Jugendkreis, Cafe Vergißmeinnicht, Passionsandachten, Vortreffen, Nachtreffen, Kirchspielberatungssitzungen, Seniorenadventsfeier, Osterfrühstücksgottesdienste (einmal auch mit Taufe), Frauenkreise, Missionsfestkaffeetrinken, Frühstücksveranstaltung, Pfarrkonvent, Vortrag, Versammlung, Gemeindeversammlung, Dekanatsfrauentreffen.

QUELLEN/LITERATUR

• Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach. Ortschronik der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach.
• Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach. Akte 59: Schwesternhaus 1965-1972.
• Archiv der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach. Akte 5. Gebäude und Kirchhof 1940-52.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XI. Jahresbericht. 1907-1909.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XIII. und XIV. Jahresbericht. 1909-1911.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XV. Jahresbericht. 1911-1912.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XVI. Jahresbericht. 1912-1913.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XVII. und XVIII. Jahresbericht. 1913-1915.
• Diakonissenmutterhaus Paulinenstiftung zu Wiesbaden. XIX., XX. und XXI. Jahresbericht. 1915-1918.
• Dittmann, Andreas: Spuren religiöser Minderheiten in alten Katasterkarten: Jüdischer und christlicher Gemeinschaftsbesitz in Niederweidbach. In: Dieter Schwarz (Hg.): 500 Jahre Marienkirche zu Niederweidbach, Wetzlar: Wetzlardruck, 2001, 80-86.
• Dittmann, Edmund: Ungleiche Schwestern – Bischoffens Ortsteile. In: Interessengemeinschaft Weidbacher Vereine e.V. (Hg.): 802-2002. Weidbach 1200 Jahre. Ein Heimatbuch, Marburg: Druckhaus Marburg, 2002, 405-414.
• Gerecke, Friedhelm: Historismus, Jugendstil, Heimatstil in Hessen, im Rheinland und im Westerwald. Das Lebenswerk des Architekten und Denkmalpflegers Ludwig Hofmann, 2010.
• Mencke, Oskar: Statistik der evangel. Pfarreien u. Geistlichen des Konsistorialbezirks Wiesbaden nach dem Stand vom 1. Mai 1912. 5. Ausgabe, Oberlahnstein 1912.
• Rudolph, Frank: Die Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Niederweidbach seit 1533. http://f-rudolph.info/downloads/rudolphpfarrerniederweidbachseit1533.pdf (19.6.2012).
• Rudolph, Frank: Rezension von: Friedhelm Gerecke: Historismus, Jugendstil, Heimatstil in Hessen, im Rheinland und im Westerwald. Das Lebenswerk des Architekten und Denkmalpflegers Ludwig Hofmann, 2010. In: JHKV 62 (2011), 323-326.
• Rudolph, Frank: 200 Jahre Kindergarten. Wetzlars evangelische Kirchengemeinden und ihre Kindergartenarbeit 1803-2003. Marburg, 2008.
• Schwarz, Dieter: Die Geschichte der Evang.-Luth. Kirchengemeinde Niederweidbach. In: Interessengemeinschaft Weidbacher Vereine e.V. (Hg.): 802-2002. Weidbach 1200 Jahre. Ein Heimatbuch, Marburg: Druckhaus Marburg, 2002, 36-60.
• Verein für weibliche Diakonie im Konsistorialbezirk Wiesbaden: Bericht über die 17. Ordentliche Generalversammlung, 1909.
• Verein für weibliche Diakonie im Konsistorialbezirk Wiesbaden: Bericht über die 15. Ordentliche Generalversammlung, 1907.

Frank Rudolph